■ Bonn beschließt die Novellierung des Tierschutzgesetzes: Doppelmoral allerorten
Das Bundeskabinett hat über die Novellierung des Tierschutzgesetzes beraten. Daß dabei wenig zum Nutzen der Tiere herauskam, läßt sich ahnen. Die Entrüstung hierüber ist berechtigt – aber auch wohlfeil. Sie sollte nicht verhindern, über einige recht verschwiegene Dimensionen des Themas nachzudenken.
Denn Tierschutz lag uns Deutschen immer schon am Herzen. „Das neue Deutschland macht nicht nur den Menschen frei vom Fluch des Materialismus, Egoismus und Kulturbolschewismus, es gibt auch dem bisher grausam gequälten, verfolgten und völlig schutzlosen Tier sein Recht“ – so die Zeitschrift Die weiße Fahne 1933. Der preußische Ministerpräsident Göring hatte kurz zuvor die Vivisektion verboten. Derlei spricht natürlich nicht gegen das tierschützerische Anliegen, wohl aber gegen die etwas doppelbödige Art und Weise, wie dieses bisweilen angepriesen wird. In meiner Allgäuer Nachbargemeinde fand vor kurzem eine „Tiersegnung“ in Andenken an den Heiligen Franz von Assisi statt. Hunderte kamen, um ihre Kätzchen und Hündchen segnen zu lassen – „hinterher Grillfest“, hieß es auf dem Handzettel des Veranstalters. Es lebe die Doppelmoral.
Klar ist: Der beste Tierschutz wäre massenhafter Fleischverzicht. Für unseren, auch der eigenen Gesundheit unzuträglichen, unmäßigen Fleischkonsum (rund 60 Kilogramm pro Kopf und Jahr) werden allein in den alten Bundesländern jährlich 50 Millionen Großtiere und etwa 300 Millionen „Stück“ Geflügel geschlachtet. Der vielzitierte und heftig umstrittene „Verbrauch“ von Versuchstieren in der medizinischen und pseudomedizinischen Forschung (jährlich nicht ganz zwei Millionen Versuchstiere, davon zu 77 Prozent Ratten und Mäuse) fällt demgegenüber kaum ins Gewicht. In der Öffentlichkeit werden die falschen Fragen manchmal am heftigsten diskutiert.
Tierschutz ist häufig Gegenstand melodramatischer Deklamationen (man denke an die groteske Kontroverse um das Taubenfüttern in der Münchner Innenstadt) – gerade das schadet ihm. Deshalb will es scheinen, als habe der halbvergessene Albert Schweitzer immer noch recht: „Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, daß die Tür zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkommen und das getane Werk durch die Spur seiner Pfoten entstelle, so wachen die europäischen Denker darüber, daß ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.“ So geschrieben 1923. Und, was die Alltagspraxis anbetrifft, unvermindert aktuell. Till Bastian
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