■ Bonn apart: Sat.1 hilft immer
Mögen andere sich im Wahlkampf plagen, ich bleibe am Wolfgangsee, denkt Helmut Kohl seit nunmehr vier Wochen. Klaus Kinkel mußte am Mittwoch sein Fünf-Prozent-Hürden-Training auf der Nordseeinsel Juist unterbrechen, um als Vizekanzler in Bonn eine wenig ergiebige Kabinettssitzung zu leiten.
Der richtige Kanzler hat soviel Einsatz nicht nötig. Denn verläßlich kommt Sat.1 zu ihm. Und Kohl parlierte am gleichen Mittwoch mit deutschen Urlaubern an Ort und Stelle und weiteren, via Satellit zugeschalteten, auf Mallorca. Am Vortag hatte sein Generalsekretär den liberalen Koalitionspartner kräftig düpiert. „Zweitstimme ist Kanzlerstimme“, kündigte Peter Hintze als Kampagne gegen etwaige Versuche der Liberalen an, in den nächsten Wochen auf Zweitstimmen aus dem Unionslager zu zielen. Doch nach Lage der Dinge dürfte die FDP sie dringend brauchen. Und braucht nach Lage der Dinge die Union nicht die FDP, wenn Helmut Kohl weiter regieren will? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.
Das Spiel mit den beiden Stimmen, das viele Wähler nicht, die Politiker aber desto besser beherrschen, ist komplizierter als je zuvor. Was wäre, wenn die jüngsten Wahlergebnisse und die derzeitigen Meinungsumfragen die treffende Prognose für den 16. Oktober sein sollten? Dann sitzt Helmut Kohl, der Mann im Aufwind, in Wahrheit in einer Zwickmühle. Sollte die FDP nämlich scheitern, ist es ohnehin aus mit seiner Kanzlerschaft. Und wenn sie es schafft? Dann, um mit Kohls Vorbild und Amtsvorgänger zu sprechen, ist die Situation da. Worauf Günter Verheugen vor vierzehn Tagen hingewiesen hat, das wiederholte in diese Woche Joschka Fischer: Wenn FDP, Union, SPD, Grüne und PDS in den nächsten Bundestag einziehen, dann lauten die Alternativen Groko (Große Koalition) oder Ampel. Da gibt man ungern und nicht einmal augenzwingernd Zweitstimmen her. Können sich doch Freund – und erst recht Feind – durchaus vorstellen, daß das Koalitionsbekenntnis der FDP nicht mehr viel gilt, wenn die Opposition droht.
Kohl in Sat.1: „Die Partei und ich müssen jetzt rund um die Uhr traben ...“ Dabei hilft wieder Sat.1. Am Sonntag diskutiert der Sender das Thema „Phänomen Kohl – warum genießt der Kanzler soviel Ansehen?“. Tissy Bruns
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen