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■ Bonn apartLeere Bänke zur Kernarbeitszeit

Drohend wie eine Gewitterwolke an einem schwülen Sommertag lasten die fettgedruckten Worte auf der ersten Seite eines bekannten Boulevardblatts: „Bonn, gestern 9.20 Uhr“. Das mehrspaltige Foto dazu zeigt leere Stuhlreihen im Bundestag. Ein einziger Abgeordneter sitzt in der Mitte, wie bestellt und nicht abgeholt.

Was war an diesem Donnerstag Schreckliches passiert? War eine Bombe explodiert? Nein, Blut ist nicht zu sehen. Waren die Abgeordneten auf der Suche nach den Spielautomaten? Sie sollen im Foyer aufgehängt worden sein, um teure Flüge nach Las Vegas zu sparen. Oder waren unsere Volksvertreter im Stau steckengeblieben? Wer wohnt schließlich bei den knappen Diäten nicht westlich des Rheins, um Steuern zu sparen? Sicher nicht Graf Lambsdorff, berühmt für seine Steuerehrlichkeit. Und tatsächlich, er soll im Plenum gewesen sein.

Oder hatte Bild mit der Annahme recht, daß die Haushaltsdebatte den meisten Abgeordneten einfach schnurz ist? Schließlich gibt es Besseres zu tun, als im Bundestag zu sitzen.

Nehmen wir zum Beispiel den SPD-Abgeordneten Dietmar Schütz, Bundestagsmitglied seit 1987. Er schrieb am Tage des Enthüllungsfotos eine wichtige Pressemitteilung. Weil man keinen Laptop in den Plenarsaal nehmen darf, war er also mit gutem Grund verhindert. Schütz wies die Kollegen darauf hin, daß „fast zeitgleich mit dem Beaujolais nouveaux“ die neuen Taschenkalender für Abgeordnete erschienen sind. „Ein nützliches Requisit bei dem Versuch, der Terminflut auch im portablen Kleinformat Herr zu werden“, lobte er. „Zu seiner Verblüffung“ habe er aber festgestellt, daß in diesen der Arbeitstag in neun Stundenschritten von 8 bis 17 Uhr eingeteilt sei. „Schön wär's, wenn wir so planen könnten und nur zu diesen Zeiten politische Termine hätten“, empört sich Schütz, 53, früher Bau- und Gewerbeaufsichtsdezernent bei der Bezirksregierung Weser-Ems in Oldenburg. Die Realität sehe schließlich anders aus. „Ein gerüttelt Maß an Veranstaltungen findet nach 17 Uhr statt – und manche auch vor 8 Uhr.“

Richtig. Nur warum die leeren Reihen ausgerechnet in der Kernarbeitszeit? Weil im Kalender nur die vollen Stunden angegeben sind? Konnte es deshalb passieren, daß just um 9.20 Uhr... Markus Franz

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