■ Bonn apart: Das Land blüht – und wie
Im Zug von Leipzig (7.23 Uhr) nach Zwickau. Von Bonn gekommen. 22.10 Uhr losgefahren. Zug fuhr über Dortmund, Hannover, über Norddeutschland bis fast nach Bayern. Tolle Streckenführung. Als wenn's in ein anderes Land ginge. Sitzt ein Typ im Zug. Topfdeckelhaarschnitt für Dreimarkfuffzig. Haare zu Zopf gebunden. Schnurrbart. Bierbüchse in der Hand. Ossi. Sieht muffig aus. Sollte froh sein, überhaupt in so einem schnieken Zug zu sitzen. Regionalexpreß. Alles neu. Und draußen am Fenster ziehen schön renovierte Häuser vorbei. „Das Land blüht auf“, hat Kanzler Kohl am Donnerstag im Bundestag gesagt. Und wo ist die Dankbarkeit?
„Junger Mann“, ruft der Kerl über drei Sitzreihen hinweg, „darf ich Sie mal was fragen?“ Junger Mann? Obrigkeitsstaatlich geprägter Schleimer. Ist sicher jünger. „Wieviel Uhr ist es?“ Jetzt fängt sicher das Jammern an. Richtig! „Bin seit gestern 12 Uhr unterwegs. Von Berlin. Früher sind die Züge öfter gefahren.“ Schröder hatte unrecht mit seinem Satz: „Wir können die neuen Bundesländer doch nicht an Polen abtreten.“
Als nächstes jammert der Ossi natürlich über die Fahrpreise: „Muß man sich mal vorstellen: 70 Mark“. Schon mal was von Bahncard gehört? Hast doch acht Jahre Zeit gehabt zu lernen, wie man zurecht kommt. Das ist eben diese Mentalität. Das kriegt der Schröder auch nicht hin. Kohl hat recht mit seinem Spruch vom Donnerstag: „Dazu reicht ihre Denke gar nicht aus.“
„Arbeit macht überhaupt keinen Spaß mehr“, fängt der Typ wieder an. Warum? „Die oberen 10.000 verdienen sich eine goldene Nase, und die anderen kratzen mühsam ihr Geld zusammen.“ Liest er etwa immer noch die alten Schulbücher aus der DDR? War sicher IM bei der Stasi, wenn ihm nicht die Gnade der späten Geburt zuteil wurde. Und überhaupt gilt Schröders Satz über die Ostdeutschen: „Wer zu spät kommt, muß sich hinten anstellen.“
Wieviel er verdient? „2.000 Mark auf die Hand, ist heute ja auch nicht mehr viel.“ Nee, du Jammerlappen, aber früher hast du nur 500 Mark bekommen. Schröder spinnt, wenn er Kohl vorwirft, die ABM-Mittel nur für das Wahljahr aufgestockt zu haben. Ganz weg damit. Haben die doch gar nicht verdient.
Wie hat doch ein Spitzenpolitiker kürzlich so richtig gesagt: „Wenn ich nach Leipzig komme, und sehe, wie toll das alles ist, denke ich: Die Mittel für den Aufbau Ost stoppen, sofort.“
Genau. Und die Regionalexpreßzüge sollen sie auch gleich zurückgeben. Die haben das nicht anders verdient. Selbst schuld. Markus Franz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen