■ Bonn apart: Omma ihr Ernst
Daß die Politiker aber auch immer jedes Wort auf den Seziertisch legen müssen. Sollten sich mal ein Beispiel am richtigen Leben nehmen. Nehmen wir meine Omma ihr Ernst, wo in Gelsenkirchen wohnt. Der sagt doch glatt am Kaffeetisch: „So eine verdammte Sau!“ Damit wir uns jetzt nicht vertun. Mein Oppa ist nicht irgendein Oppa. Und die „Sau“ ist auch nicht irgendwer. Und was passiert? Omma sacht: „Ach du, putz du dir lieber mal die Schlagsahne von der Backe.“ Tante Martha sacht: „Dat du immer so übertreiben tun mußt. Bist doch kein Politiker.“ Und Klein- Fritzchen sacht: „Die sieht doch ganz anders aus.“ Ja wie denn, Fritzchen? „Wie eine dumme Kuh.“ War das ein Gelächter. Und sonst? Danach haben wir weiter unseren Kuchen gefuttert. Meinungsfreiheit eben!
In der Politik dagegen – o weh. Kaum vergleicht der Kohl den Gorbatschow mit Goebbels oder die Gefängnisse der ehemaligen DDR mit KZs, wird sofort seine Ablösung gefordert. So'n Oppa löst man ja auch nicht einfach ab, weil er mal ne Dummheit sagt. Und was ist trotz aller Aufregung passiert? Kohl und Gorbatschow sind gute Kumpels, und die ehemaligen DDR-Gefängnisse sind jetzt genauso töfte, wie sie es in der BRD immer waren.
Diese Gedanken erwecken bei uns eine Vision: Jost Stollmann wird Bundeskanzler. Schließlich hat er mit Kanzlerformat das Sozialversicherungssystem als „Gefängnis für Normalverdiener“ bezeichnet. Bei uns zu Haus hätten wir diese Aussage so bereinigt: Omma ihr Ernst sacht: „Dieser Schweinehund will uns am Arsch kriegen.“ Meine Omma sacht: „Laß ihn doch. Der Junge meint's doch nur gut.“ Tante Martha fragt: „Wat hat dat Sozialversicherungssystem denn verbrochen?“ Und weil Klein-Fritzchen fragt, „ob wir jetzt alle ins Gefängnis müssen“, antwortet Onkel Wolfgang: „Keine Sorge, mein Junge, wir sind doch Besserverdienende.“ Das wär alles. Stollmann könnte weiter ehemaliger Unternehmer bleiben, der Wirtschaftsminister werden will. Meinungsfreiheit eben.
Und statt dessen? Die Koalitionspolitiker hetzen auf Stollmann. Das zwingt Schröder, ihn tatsächlich zum Wirtschaftsminister zu machen. Alle Gewerkschafter treten daraufhin aus der SPD aus. Stollmann kann das Ende der Steinkohlesubventionen verkünden. Frau Engelen- Kefer gründet die Wahrhaftige Sozialistische Partei Deutschlands (WSPD). Kanzler Schröder muß zugunsten von Stollmann abdanken. Als erste Amtshandlung wandelt er das Sozialversicherungssystem in eine Aktiengesellschaft um. Die kauft die SPD. Endlich ist Stollmann am Ziel angelangt. Er kann unbehelligt in die CDU eintreten. Markus Franz
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