piwik no script img

■ Bonn apartOskar im Büßerhemd

Deutschland im Jahr 2001. Der BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel ist wegen der rot-grünen Steuerreform ausgewandert, die Großindustrie aus Solidarität gleich mit. Der Staat ist so gut wie bankrott. Die Bild- Zeitung titelt eine Geschichte über Finanzminister Oskar Lafontaine: „Der Napoleon der Haushaltslöcher“. Doch dann keimt bei Lafontaine Hoffnung auf.

Die Bundeswehr soll auf 200.000 Männer und Frauen reduziert werden. Das spart Milliarden. Aber Verteidigungsminister Rudolf Scharping weigert sich, auch nur eine Mark herauszurücken. Schließlich sei er nur unter der Voraussetzung Minister geworden, daß der Etat unverändert bleibe. Lafontaine, der seit Jahren nicht mehr mit Scharping gesprochen hat, überlegt, ob er zum Hörer greifen soll, ruft aber statt dessen Altfinanzminister Theo Waigel an, um sich Rat zu holen. Bild macht eine Titelgeschichte über den glücklosen Finanzminister und titelt: „Kleiner Feigling!“

Wenig später wird die Bundeswehr abgeschafft. Scharping beharrt auf seinem Etat. Bundeskanzler Schröder habe ihm das damals zugesichert. Lafontaine schäumt vor Wut, beklagt sich bei Schröder, kann sich aber nicht durchsetzen. „Bist du selbst schuld, Oskar“, sagt Schröder. Schließlich gibt Lafontaine klein bei: Obwohl es Winter ist, legt er sein Jacket ab und geht zu Fuß, barhäuptig und in weiß gestärktem Oberhemd vom Finanzministerium bis zur Hardthöhe, wo er um Einlaß bittet. Scharping meldet sich an der Gegensprechanlage. Die Mitarbeiter sind ja bereits entlassen.

„Dududu, Rudolf...“, bibbert Lafontaine. „Was kann ich für Sie tun, Herr Lafontaine?“ „Rudolf, kann ich nicht reinkommen.“ Eisiges Schweigen. „Bitte!“ „Na gut.“ Was dann folgte, rekonstruierte die Polizei so: Ein 58jähriger bekannter Politiker betrat gegen 17.03 Uhr das Büro eines Parteifreundes und ehemaligen Fraktionsvorsitzenden. Zwei Duellpistolen lagen auf einem Louis-Treize- Tischchen bereit. Der Ex-Fraktionschef wies wortlos auf die Waffen. Im Flur vor seinem Dienstzimmer stellten sich die beiden Rücken an Rücken, gingen jeweils zehn Schritt und drehten sich um. Aus beiden Pistolen löste sich ein Schuß. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende hatte einen Schuß in die Decke abgegeben. Sein Kontrahent war tödlich getroffen. Er hatte sich selbst einen Schuß in den Kopf beigebracht.

„Rudolf, aufwachen!“ Rudolf Scharping reibt sich die Augen und murmelt: „Nur ein Traum. Ach, wie schade.“ Markus Franz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen