Bomben in Kundus: Bundeswehr längst offensiv
Klammheimlich wurde der Charakter der deutschen Isaf-Mission verändert. Selbst die Verteidigungspolitiker im Bundestag wurden hinters Licht geführt.
![](https://taz.de/picture/327923/14/0741_01.jpg)
Die Abgeordneten des Bundestags wurden nicht informiert, dass die Bundeswehr in Afghanistan schon seit dem Frühjahr auch für militärische Offensiven eingesetzt werden kann. Im April 2009 wurden die deutschen Vorbehalte ("Caveats") gegen solche Offensivoperationen zurückgenommen. "Der Verteidigungsausschuss wurde darüber nicht informiert", sagte Winfried Nachtwei, der damals Obmann der Grünen im Ausschuss war. Paul Schäfer, sein Pendant von der Linken, bestätigt dies.
Die internationale Isaf-Truppe soll die afghanischen Sicherheitskräfte unterstützen. Ab Anfang 2006 erlaubten die Isaf-Einsatzregeln (Rules of Engagement, ROE) auch offensive Aktionen gegen Aufständische. So ermöglicht etwa Regel 429 die Gewaltanwendung gegen Personen oder Gruppen, die den Isaf-Auftrag behindern oder auch nur die "uneingeschränkte Bewegungsfreiheit" von Isaf stören.
Diese Einsatzregeln gelten zwar grundsätzlich für alle beteiligten Staaten, jedoch hat Deutschland gegen die sogenannten "Angriffs-ROE" sogleich einen Vorbehalt eingelegt. Das heißt, die deutschen Truppen durften weiterhin nur feuern, wenn sie angegriffen wurden oder ein Angriff unmittelbar bevorstand. Dennoch nahmen im November 2007 deutsche Truppen an der offensiven Aktion "Harekate Yolo" im Norden Afghanistans teil. Damals wurde eine von Taliban besetzte Provinz befreit. Die Kampftruppen kamen aus Norwegen. Die 300 beteiligten Deutschen waren für Aufklärung, Logistik und Medizin zuständig.
Ab Juli 2008 stellte dann Deutschland statt den Norwegern die nördliche Quick Reaction Force der Isaf. Schon da war fraglich, wie eine Eingreiftruppe sich auf Selbstverteidigung beschränken kann. Erst im April 2009 nahm Deutschland dann aber die Vorbehalte gegen deutsche Offensivbefugnisse formell zurück. Dass deutsche Soldaten jetzt offensiver vorgehen, war schnell spürbar. In der Operation "Adler" versuchten im Juli deutsche und afghanische Soldaten, die Taliban aus dem Distrikt Chahhar Darreh zu vertreiben.
Erst Ende Juli wurde die sogenannte Taschenkarte geändert, auf der den deutschen Soldaten ihre Einsatzbefugnisse erläutert werden. Nun erfuhren die Soldaten, dass sie auch präventiv gegen Personen vorgehen können, die Angriffe vorbereiten oder auch nur ein feindseliges Verhalten zeigen. Die Abgeordneten wurden zwar über die neue Taschenkarte informiert, aber beruhigt, dass damit Taliban nur "in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang" mit konkreten Angriffsvorbereitungen getötet werden dürfen. In der Taschenkarte findet sich diese Einschränkung nicht.
Die neue offensive Stoßrichtung der Bundeswehr in Afghanistan lag nicht nur in der Verantwortung des Exverteidigungsministers Franz-Josef Jung. Auch SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der offiziell die Federführung für den Afghanistan-Einsatz hatte, dürfte dies mitgetragen haben.
Der Angriff auf die Tanklaster von Kundus geht wegen der vielen zivilen Opfer dennoch über die bisherigen Offensivaktionen der Bundeswehr hinaus. Grünen-MdB Christian Ströbele sprach bereits von einem "Massaker". Er glaubt, dass es schon zuvor derartige Aktionen gab, und fordert von der Regierung Aufklärung.
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