Bomben auf Rafah: "Verlasst eure Häuser"
Wenn die israelische Luftwaffe den palästinensischen Stadtteil von Rafah bombardiert, dann bebt die Erde auch im ägyptischen Teil der Stadt.
"Ich fühle mich, als säße ich auf Feuer, und in meinem Kopf dreht sich alles", sagt die junge Braut Dina. Sie sitzt unruhig in ihrer kleinen Wohnung im ägyptischen Teil Rafahs, am südlichen Ende des Gazastreifens. Vor zwei Monaten, war sie aus dem palästinensischen Teil der Stadt gekommen und hat hier ihren Cousin Muhammad geheiratet. Doch die Flitterwochen der 23-Jährigen waren kurz. Nach jedem israelischen Luftangriff auf den palästinensischen Teil Rafahs ruft sie dort ihre zwölfköpfige Familie an. Die ersten Kilometer in den Gazastreifen funktioniert das ägyptische Mobilnetz noch, und die Palästinenser besitzen alle ein ägyptisches Handy, dessen Rechnung ihre ägyptischen Verwandten bezahlen.
Dina verbringt ihre Tage vor den arabischen Nachrichtenprogrammen, oder sie versucht ihre Familie anzurufen. "Das Schlimmste ist", sagst sie, "wenn ich nach einem Bombardement anrufe und keiner abhebt. Dann sitze ich im Sessel und heule sinnlos vor mich hin. Ich wäre lieber auf der anderen Seite." Auf der anderen Seite, das ist weniger als zwei Kilometer Luftlinie von ihrer Wohnung in Ägypten entfernt, im palästinensischen Flüchtlingslager Jibneh, direkt hinter dem Grenzzaun.
Dort, sagt Dina, wandert ihr Vater wie ein Tiger im Käfig die ganze Zeit von einem Fenster zum anderen und wartet auf den nächsten Angriff. Genauso wie Dina, die auch auf dieser Seite die israelischen Aufklärungsdrohnen hören kann, die meist vor einem Luftangriff mit F-16-Kampfbombern jede Bewegung auf der palästinensischen Seite filmen. Genauso wie die Explosionen der Bomben, die rund um ihres Vaters Haus abgeworfen werden, auch ihre Wohnung vibrieren lassen.
Nach ein paar Anwählversuchen geht ihr Vater ans Telefon. Dina beginnt zu zittern und zupft am Polster ihres Sessels. Vor zwei Tagen haben die Israelis Flugblätter abgeworfen, erzählt Abu Raed. "Verlasst eure Häuser, wir werden hier ungezielt bombardieren. Wer bleibt, ist für sich selbst verantwortlich", steht dort an die Bewohner in der Nähe des Grenzstreifens gerichtet.
Kurz danach, nicht weit von Abu Raeds Haus, hatten die Israelis eine neue Art von Bombe abgeworfen. Sie bohrt sich in den Boden und explodiert erst dann. Von ägyptischen Rafah aus kann man sie beobachten. Sie kommen herunter, dann gibt es eine kleine Explosion, und ein paar Sekunden später macht es ein merkwürdiges "Plopp" - eine weitere Explosion unter der Erde. Dann wird eine Menge Erdreich aufgewirbelt, und erst dann steigt eine schwarze Rauchwolke auf. Die israelische Luftwaffe will mit diesem sogenannten Bunker-Bustern die hunderte von Schmugglertunnels zerstören, die die beiden Rafahs miteinander verbinden. Abu Raed nennt sie "Erdbebenbomben", weil eine von ihnen den Boden so zum Beben gebracht hat, dass gleich 15 Häuser eingestürzt sind.
Die Flugblätter und diese Art von Bomben waren Anlass genug, dass über 30.000 Menschen fluchtartig ihre Häuser verlassen haben.
Auch Abu Raeds Familie ist zu Verwandten ein Stück weiter nördlich gezogen. Nicht zu weit, denn dann kommt die palästinensische Kleinstadt Chan Junis, und dort kämpfen sich gerade die israelischen Panzer vor. "Stell dir vor, 30.000 Menschen suchen über Nacht eine neue Bleibe. Drei, vier Familien ziehen in zwei Zimmer zusammen, alle Generationen zusammen, vom Baby bis zu den Großeltern. Kein Strom, kein Kochgas, kaum etwas zu essen", beschreibt Abu Raed. Er hat den Rest seiner Familie losgeschickt. Er selbst ist im Haus am Grenzstreifen geblieben. Es ist eine Endstation, sagt er: "Heute in Rafah stehen die israelischen Panzer im Osten, im Westen werden wir vom Meer aus von israelischen Kriegsschiffen beschossen, und im Süden ist die ägyptische Grenze, und die ist zu."
Abu Raed hatte am zweiten Tag des Krieges versucht, mit seiner Familie über die Grenze zu seinen Verwandten nach Ägypten zu fliehen. Die Ägypter feuerten Warnschüsse in die Luft und machten alles dicht. "Jetzt sitze ich hier allein im Haus und warte auf die israelischen Raketen." Vielleicht sei es ohnehin besser, wenn er stirbt. "Dann", beendet er das Gespräch "ist es wenigsten vorbei."
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