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Bomben auf Grosny bestätigen islamische FundamentalistenRusslands Religionskrieg

Wer immer letztlich zu den Profiteuren im Krieg um den nördlichen Kaukasus zählen wird – ein Mann darf sich schon jetzt bestätigt fühlen: der amerikanische Politologe Samuel Huntington, der Prophet des „Clash of Zivilizations“, des Kampfes der Kulturen. Die Kriege der Neuzeit, hatte der Harvard-Professor behauptet, werden zwischen unterschiedlichen Zivilisationen und nicht mehr zwischen Ideologien geführt, und hatte damit weltweit Widerspruch geerntet. Es ist nicht bekannt, ob Russlands neuer starker Mann Wladimir Putin den Wälzer gelesen hat; er tut jedenfalls alles dafür, dass sich das Huntington-Szenario bestätigt. Die vermeintlichen Terroristen, die Putin in Tschetschenien bekämpft, sind Muslime. Die Kriegsführung des neuen Präsidenten legt nahe, dass er nach dem Umkehrschluss vorgeht und annimmt, alle Muslime seien Terroristen.

Putin ist dabei, den russischen Kolonialkrieg in Tschetschenien in einen veritablen Religionskrieg zu verwandeln. Das wird Folgen haben für den inneren Zusammenhalt der Russischen Föderation, aber auch für das Verhältnis von Christen und Muslimen weit darüber hinaus.

Eines der ersten Länder außerhalb des Kaukasus, in dem dieser Religionskrieg bereits Wirkung zeigt, ist die Türkei. Dort leben Millionen Menschen, deren Wurzeln im Kaukasus liegen. Die Erregung über den russischen Vernichtungskrieg gegen die Tschetschenen, die sich bereits während des OSZE-Gipfels im November in Istanbul zeigte, ist seitdem kontinuierlich gewachsen.

Vor allem der politische Islam hat sich der „Brüder und Schwestern“ im Kaukasus angenommen. Mit zunehmender Lautstärke werden politische Konsequenzen gegenüber Russland gefordert. Ministerpräsident Ecevit, der trotz des Tschetschenienkrieges im November nach Moskau gereist war, um dort einen großen Energiedeal abzuschließen, steht inzwischen unter Druck: Er bezeichnete seine Russlandreise als Fehler und verurteilte Putins Tschetschenienpolitik. Das sowieso fragile türkisch-russische Verhältnis, durch die Konkurrenz am Kaspischen Meer und die entgegengesetzte Haltung im armenisch-aserischen Krieg in den letzten Jahren zusätzlich belastet, droht in offene Feindschaft umzuschlagen.

Im Tschetschenienkrieg ist die Türkei so etwas wie ein westlicher Vorposten innerhalb der muslimischen Welt. Die Empörung dort ist ein Seismograph für das, was sich in den anderen muslimischen Ländern der früheren Sowjetunion tut. So nimmt etwa in Aserbaidschan die Unterstützung für die muslimischen Kämpfer in Tschetschenien stark zu, obwohl Staatspräsident Alijew versucht, den politischen Islam autoritär zu unterdrücken. Dasselbe gilt für Turkmenistan oder Usbekistan.

Die große Zurückhaltung der europäischen Staatschefs gegenüber der russischen Kriegsführung, das Verständnis, das US-Präsident Bill Clinton für seinen abgetretenen Kollegen Boris Jelzin aufbringt, macht den Westen für viele Muslime zum Komplizen der Russen im Tschetschenienkrieg. Der moralische Anspruch, mit dem der Westen im Kosovo angetreten ist, bestimmt nun die Fallhöhe für die westliche Glaubwürdigkeit – zumindest aus muslimischer Sicht. Der politische Islam kann sich, wie im Iran, noch so oft selbst diskreditieren – so schafft der Westen ihn sich immer wieder neu.

Die tschetschenische Gesellschaft war vor dem ersten Krieg weit davon entfernt, muslimisch-fundamentalistisch dominiert zu sein. Nach diesem Krieg werden die Eiferer sich auf breiter Basis bestätigt fühlen. Das gilt auch für entsprechende Strömungen in Aserbaidschan, Zentralasien oder der Türkei. Der Bombenhagel auf die tschetschenische Bevölkerung bringt uns jeden Tag dem „Clash of Zivilizations“ näher. Jürgen Gottschlich

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