: „Bombardiert den Kreml!“
Demonstrationen in Polen gegen den Tschetschenienkrieg stellen das angespannte Verhältnis zu Russland vor eine neue Zerreißprobe
WARSCHAU taz ■ Ein entspanntes Verhältnis haben Russland und Polen wohl nie gehabt – jetzt hat der Tschetschenienkrieg zu weiteren Zerwürfnissen geführt. Anfang März sagte Igor Iwanow, der russische Außenminister, seinen lange geplanten Besuch in Warschau ab. Sogar der russische Botschafter in Warschau musste die Koffer packen.
Die Duma in Moskau verabschiedete eine Protestresolution gegen die polnische Regierung, weil die es zugelassen habe, dass Demonstranten in Posen das russische Konsulat stürmten, dort die russische Fahne verbrannten, die tschetschenische hissten und am Ende auch noch ein Hakenkreuz an das Gebäude sprühten.
Zwar entschuldigten sich umgehend nicht nur der Bürgermeister von Posen, sondern auch der Innen- und Außenminister Polens, ja sogar der Auswärtige Ausschuss des Abgeordentenhauses in Warschau. Die Demonstration sei nicht angemeldet gewesen, die verantwortlichen Polizeichefs in Posen hätten einen Fehler gemacht, als sie nicht eingegiffen hätten, und würden daher abberufen.
Doch der russischen Regierung reichte das nicht. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass in Polen eine russische Fahne brannte. Und die Sprechchöre der Demonstranten, „Bombardiert den Kreml!“ und „Putin – Mörder!“, waren auch in Warschau schon zu hören gewesen. In der Protestnote des russischen Außenministeriums hieß es daher: „Die Untätigkeit der polnischen Behörden wird in Moskau als faktische Unterstützung der Extremisten gewertet.“
„Noch ist Tschetschenien nicht verloren“
Tatsächlich kann die Regierung Polens diesem Vorwurf kaum etwas entgegenhalten, da die protschetschenische Haltung Polens seit dem ersten Krieg im Kaukasus vor fünf Jahren bekannt ist. Seit 1995 nämlich unterhält Tschetschenien eine Art Honorarkonsulat in Polen. Immer häufiger beantragen Tschetschenen in Polen politisches Asyl.
Erst vor wenigen Wochen eröffnete der Oberbürgermeister Warschaus im Rathaus der Stadt eine Ausstellung mit dem beziehungsreichen Titel: „Noch ist Tschetschenien nicht verloren!“ – dem abgewandelten Satz aus der polnischen Nationalhymne also: „Noch ist Polen nicht verloren.“ Und der steht für den knapp 200-jährigen Freiheitskampf der Polen.
Nachdem die polnische Regierung bereits im Januar neun russische Diplomaten als der Spionage verdächtigte Personen ausgewiesen hatte, scheint Russland nun eine neue Politik gegenüber dem einstigen „Bruderstaat“ zu erwägen. Zumindest deuten darauf Kommentare in der russischen Presse hin. So hieß es in der regierungsnahen Nesawisimaja Gaseta, dass sich Polen unter „dem Schutzschirm der Nato stark genug fühlt, um seinem antirussischen Komplex freie Bahn zu geben“. Moskau, das immer vor einer Erweiterung der Nato gewarnt habe, sehe sich durch die Politik Polens als neues Nato-Mitglied bestätigt.
Bislang, so schreibt der Kommentator weiter, habe „Russland nichts gegen die Erweiterung der Europäischen Union gehabt, im Gegenteil diesen Prozess sogar als eine Möglichkeit für die Entwicklung einer langfristigen wirtschaftlichen Zusammenarbiet gesehen“. Nun aber sei zu fragen, ob „im Licht der letzten Ereignisse unsere Haltung zu diesem Prozess nicht zu revidieren ist“.
Als einen Warnschuss dürfte der polnische Botschafter in Moskau den Molotowcocktail empfunden haben, den russische Demonstranten nur einen Tag nach der „Posener Provokation“ gegen das Botschaftsgebäude in Moskau schleuderten.
GABRIELE LESSER
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