Bologna-Prozess: Büffeln in Deutschland
Zu verschult, zu vollgestopft, zu starr: Bachelor-Studiengänge halten Studierende vom Auslandsstudium ab, sagt eine Studie.
Praxisnäher sollten sie werden, strukturierter und vor allem internationaler: Die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge, auf deren europaweite Einführung sich die Bildungsminister aus 29 Ländern vor fast genau zehn Jahren im italienischen Bologna einigten. Doch zumindest das mit der Internationalität entpuppt sich als falsche Hoffnung.
Studenten in den neuen Studiengängen gehen deutlich seltener ins Ausland als diejenigen, die noch auf Magister oder Diplom studieren, wie eine am Donnerstag veröffentlichte Studie des Hochschulforschungsinstituts HIS zeigt. Anstatt die Studenten zu globalen Bildungsreisenden zu machen, bleiben diese zum Büffeln in Deutschland - eine direkte Folge der umstrittenen Bologna-Reform.
In Deutschland studieren inzwischen rund 600.000 der zwei Millionen Studierenden ein Bachelor-Fach oder einen darauf aufbauenden Master. Wie die Studie "Internationale Mobilität im Studium" zeigt, gehen aber nur 15 Prozent der Bachelor-Studierenden an Universitäten zum Studieren, für ein Praktikum oder etwa eine Sprachreise ins Ausland. Bei den Master-Studenten sind es 27 Prozent - nochmals weniger als bei einer Befragung vor zwei Jahren.
Mobiler geworden sind dagegen ausgerechnet die Studenten in den alten Studiengängen: Unter den Diplom-Studenten gehen 35 Prozent während der Unizeit ins Ausland, unter Magisterstudenten ist es inzwischen sogar fast die Hälfte.
Die Zahlen verschaffen jenen Kritikern neue Nahrung, die schon seit längerem die neuen Studiengänge für zu vollgestopft, zu verschult und zu starr halten. Studenten beklagen, dass ihnen nicht nur die Zeit für Auslandsaufenthalte und Praktika fehlt, sondern auch für Hochschulpolitik, Nebenjobs oder eine Mitarbeit beim Uniradio. An den Fachhochschulen ist der Druck offenbar besonders hoch: Dort brechen fast 40 Prozent der Studenten ihr Bachelor-Studium ab, betroffen sind vor allem Fächer wie Maschinenbau und Elektrotechnik. Auch die Hochschullehrer jammern: Der Deutsche Hochschulverband, der die Interessen der Professoren vertritt, hat die Reform vor wenigen Monaten als "weitgehend misslungen" bezeichnet. Der Mainzer Theologe Marius Reiser hat jüngst sogar seinen Lehrstuhl zurückgegeben und die auf eine größere wirtschaftliche Verwertbarkeit des Studiums abzielende Bologna-Reform als "Freiheitsberaubung mit Mitteln der Privatwirtschaft" bezeichnet.
Den HIS-Forschern macht vor allem der Bachelor an den Universitäten Sorge - schließlich sollte er ein Herzstück des "Europa des Wissens" sein, welches die Bildungspolitiker 1999 in Bologna mit viel Pathos ausriefen. Doch die Umfrage unter rund 7.000 Studierenden zeigt nun deutlich den Baufehler des Bachelors, der heute in der Regel nach sechs Semestern abgeschlossen sein muss. Zwei Drittel der Bachelor-Studenten, die es nicht schaffen, ins Ausland zu gehen, geben als Grund an: Das lasse sich nicht mit den strammen Vorgaben des Studiums vereinbaren. "Wir stehen dort vor einem größeren Problem", gestand der HIS-Forscher Ulrich Heublein am Donnerstag ein, der prinzipiell ein Befürworter der Bologna-Reform ist.
Ganz zurück zum alten Studiensystem wollen nur die härtesten Kritiker - und realistisch ist dies ohnehin nicht. Vor zwei Wochen erst haben die Bologna-Bildungsminister im belgischen Leuven eine Fortführung der Reformen bis 2020 beschlossen.
Die Realos unter den Kritikern erhoffen sich aber, dass zumindest die gröbsten Fehler korrigiert werden. "Es spricht nichts gegen einen vierjährigen Bachelor", sagt etwa der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde.
Das hat sich die Universität Tübingen auch gedacht. Eineinhalb Jahre lang hat die Unileitung Verbesserungsvorschläge zu den neuen Studiengängen gesammelt. Daraus ist ein dicker "Leitfaden für die Überarbeitung der BA-Studiengänge" geworden. Die Bachelor-Studenten sollen nun ein "Mobilitätsfenster" von bis zu zwei Semestern bekommen. In der Zeit sollen sie ins Ausland gehen können, längere Praktika in Unternehmen belegen oder ehrenamtlich arbeiten. Als erste Fachbereiche wollen das Modell nun die Physiker, Computerlinguisten und Medienwissenschaftler ausprobieren.
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