Bohrtechnik-Experte über Atombombe: "Das ist Schwachsinn"
Der Bohrtechnik-Experte Matthias Reich über die BP-Krisentechnik und den russischen Vorschlag, das Ölloch mit einer Atombombe zu schließen.
taz: Herr Reich, das Bohrloch im Golf von Mexiko ist laut BP dicht. Jetzt vermutet die US-Regierung, dass das Öl an anderer Stelle austritt. Was würde das bedeuten?
Matthias Reich: Ein Bohrloch ist ein komplexes System ineinander verschachtelter Rohre. Die Kappe dient nicht etwa dazu, das Loch für immer zu versiegeln, sondern ermöglicht zunächst einen Test, mit dem der Zustand der Bohrung erforscht werden kann. Wenn man das Bohrloch am Meeresboden verschließt, steigt der Druck im Laufe der Zeit immer weiter an. Das ist ganz normal. Ein starker Anstieg ist ein positives Zeichen, weil das Loch dann wahrscheinlich dicht ist. Steigt der Druck jedoch unerwartet langsam an, kann das bedeuten, dass das Bohrloch undicht geworden ist und Öl an anderer Stelle, zum Beispiel aus Rissen im Meeresboden austritt. In dem Fall muss man das Ventil wieder öffnen, um den Druck aus dem System zu nehmen, bevor sich die Risse im Meeresboden erweitern. Es ist immer besser, das Öl aus einem definierten Rohr austreten zu lassen, als es aus Klüften im Meeresboden aufsteigen zu sehen.
Hätte BP das alles mit einer anderen Technik verhindern können?
Im Rückblick urteilt es sich natürlich immer leicht. Bei der eigentlichen Erkundungsbohrung ist ja noch alles gutgegangen. Erst beim anschließenden Verschließen des Bohrloches hat es mehrere Fehler gegeben. So wurden Drucksignale falsch interpretiert. Für sich genommen waren die einzelnen Fehler vielleicht nicht wirklich entscheidend, haben aber in der Kombination zu der Katastrophe geführt.
Der 51-Jährige ist seit 2006 Professor für Bohrtechnik, Spezialtiefbauausrüstungen und Bergbaumaschinen an der TU Bergakademie Freiberg. Seit 2007 leitet er das Institut für Bohrtechnik und Fluidbergbau.
Welche Möglichkeiten hat BP jetzt?
Man muss unterscheiden: Die einzig nachhaltige Maßnahme, mit der die Kontrolle über die Bohrung wieder hergestellt werden kann, findet vier Kilometer unter dem Meeresboden statt. Das sind die Entlastungsbohrungen. Alles was dagegen am Meeresboden geschieht, sind zwischenzeitige Umweltschutzmaßnahmen. Sie bieten wichtige Teilerfolge, aber keine langfristige Lösung.
Wie funktioniert so eine Entlastungsbohrung?
Anders als häufig behauptet, saugt man dabei nicht Öl an anderer Stelle ab. Man bohrt das Loch möglichst tief an und pumpt eine sehr schwere Flüssigkeit - wir nennen das Bohrspülung - in den aufsteigenden Ölstrom. Irgendwann ist so viel von der Flüssigkeit in der Bohrung drin, dass das Öl nicht mehr genug Druck hat, die Spülung vor sich her zu schieben, und der Strom zum Erliegen kommt. Man kann sich das vorstellen wie eine natürliche, flüssige Kappe. Das Öl bleibt dann dort, wo es schon Jahrmillionen lagerte: in vier Kilometer Tiefe unter dem Meeresboden. Erst danach kann man das Loch mit Zement abdichten, das hätte jetzt noch keinen Sinn.
Russische Experten schlagen vor, das Loch mit einer Atombombe abzudichten. Geht das?
Das ist meiner Meinung nach Schwachsinn. Normalerweise nutzt man Explosionen mit hoher Druckentwicklung im kleineren Umfang dazu, Gesteinsformationen aufzubrechen und den Ölfluss nicht ins Stocken geraten zu lassen. Also das Gegenteil von dem, was man jetzt möchte. Es kann dabei passieren, dass man alles zuschmilzt. In der Hälfte der Fälle würde das Gestein aber wahrscheinlich aufbrechen. Dann hätte man die absolute Katastrophe: Radioaktive Verseuchung und unkontrolliert aufsteigendes Öl. Das ist ein Glücksspiel mit hohem Einsatz.
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