Böses Blut: Ist die Stasibehörde noch nötig? Nein!
Angesichts der Schwächen der Birthler-Behörde ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, wie ihre Struktur zu verändern ist, um den Prozess der Aufarbeitung effektiver zu gestalten.
H err Kollege Thierse versucht seit Tagen den Eindruck zu erwecken, als ob eine Überführung der Birthler-Behörde in das Bundesarchiv 2011 gleichbedeutend wäre mit einem Ende der Aufarbeitung der Stasigeschichte und SED-Diktatur. Das ist polemisch und falsch zugleich. Es werden keine Lastwagen mit Aktenbergen nach Koblenz fahren und die Akten dort dann in dunklen Archiven verschwinden.
Das Ausgangsproblem der aktuellen Debatte ist doch wohl offenbar vielmehr, dass ein überaus wichtiges Dokument zum Schießbefehl in einem Forschungsband mit hunderten anderer Papiere nahezu verschwunden ist. Es gab offenbar Schwächen in der historischen Einordnung dieses Dokuments.
REINHARD GRINDEL, 45, studierte Jura und war von 1992 bis 2002 Redakteur beim ZDF. Er leitete das Studio in Berlin und Brüssel. Seit 1977 Mitglied der CDU, sitzt er seit 2002 im Bundestag.
Im Winter 1989/90 haben sich die DDR-Bürger in der Berliner Stasizentrale ihren Zugang zu den Akten des Überwachungsapparats erkämpft. Später entstand daraus die Stasiunterlagenbehörde. Doch dort häufen sich die Pannen. Soll die Behörde 17 Jahre nach der Wende aufgelöst werden?
Ebenso ist es eine Schwäche, dass bis in die jüngsten Tage hinein ehemalige Stasimitarbeiter und systemnahe Personen an vertrauensvoller Stelle in der Stasiunterlagenbehörde tätig sind. Angesichts dieser Schwächen ist es legitim, über organisatorische und strukturelle Veränderungen nachzudenken, um den Prozess der Aufarbeitung gerade effektiver zu gestalten. Der Bundestag wird dann in einem transparenten Prozess über den Zeitpunkt der Umstrukturierungen zu entscheiden haben.
Selbstverständlich würden auch unter dem Dach des Bundesarchivs die Mitarbeiter der Birthler-Behörde weiterhin mit der Sichtung und Erschließung des Aktenbestandes befasst sein. Das Recht auf Akteneinsicht würde von den organisatorischen Änderungen auf jeden Fall unberührt bleiben. Es war doch gerade die CDU/CSU, die in der Vergangenheit immer wieder darauf gedrungen hat, moderne Technologien dafür einzusetzen, die zerrissenen und geschredderten Akten zu rekonstruieren. Weder die SPD noch Frau Birthler haben uns dabei unterstützt, dafür die haushaltsmäßigen Voraussetzungen zu schaffen.
Ich finde, dass sich jetzt gezeigt hat, dass man den Prozess der Aufarbeitung des Aktenmaterials und der historischen Einordnung und Bewertung nicht exklusiv der Birthler-Behörde überlassen darf. Man sollte dabei viel stärker als bisher auf die zahlreichen Forscher in den Instituten von Universitäten, bei Stiftungen und Initiativen zurückgreifen. Dazu wäre unter neuen organisatorischen Rahmenbedingungen die Gründung eines Forschungsverbundes zum SED-Unrecht sinnvoll.
Dadurch würde insbesondere eine stärkere Einbeziehung der Stasiopfer und Oppositionellen in der früheren DDR sichergestellt. Die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Mitarbeitergruppen in der Birthler-Behörde lassen erahnen, dass diejenigen nur noch eine untergeordnete Rolle bei der Aufarbeitung der Stasivergangenheit spielen, die es überhaupt erst möglich gemacht haben, dass noch so viel Material zur Aufarbeitung vorhanden ist.
Es ist absurd, der Union zu unterstellen, sie wolle mit der Überführung der Birthler- Behörde in das Bundesarchiv die Aufarbeitung zu einem Ende führen. Wir wollen für den Prozess der Aufarbeitung gerade zusätzliche Kompetenz gewinnen, um ihn weiter zu verbessern.
Es bleibt jedoch die Frage, ob bisher alles an Erkenntnissen zutage gefördert wurde, was möglich war. Wer ausschließlich ehemalige Stasimitarbeiter mit der Recherche nach Hinweisen auf Gregor Gysi und Manfred Stolpe in den Stasiakten beauftragt, und wer die historische und möglicherweise strafrechtliche Bedeutung von Dokumenten nicht richtig bewertet, darf sich nicht beschweren, wenn solche Fragen gestellt werden.
Noch ein Gedanke zur aktuellen Debatte: Man hatte in den letzten Jahren manchmal den Eindruck, als ob ein Erinnern an Schießbefehl und Stasiverbrechen als störend beim deutsch-deutschen Prozess des Zusammenwachsens empfunden wird. Zu Aufarbeitung und Lehrenziehen - das sei dem Kollegen Thierse ins Stammbuch geschrieben - gehört auch eine klare Abgrenzung von den SED-Nachfolgern und kein Koalieren, ob in Berlin oder anderswo.
Vor diesem Hintergrund ist auch der Vorwurf, zwischen Politikern der CDU und der Linkspartei gebe es einen Schulterschluss in der Bewertung der Arbeit der Birthler-Behörde, wirklich peinlich. Solche Mätzchen sollte Herr Thierse unterlassen.
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