Bobby Rafiq Bobsens Späti: Wie wir den Rechtsextremen Prozente nehmen
Österreich zeigt, wie schnell die Pulverisierung von Brandmauern möglich ist und dass es mal wieder demokratische Parteien sind, die zu Wegbereitern und Speichelleckern ihrer eigenen Feinde werden. Nur am Rande sei an die von Union bis Grüne hilflos dargebotenen rechtspopulistischen Parodien der vergangenen Wochen erinnert. (Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft, nützliche und weniger nützliche Syrer …) Wider besseren Wissens helfen sie, dass der rechtsextreme Schnodder in alle Teile der Gesellschaft sickert, sich festsetzt wie eine chronische Sinusitis und dabei den rechten Rand nicht mal schwächt.
Wehrlos sind wir dagegen nicht. Am Beispiel des Themas „Migration“ lassen sich sowohl Sinusitis als auch mögliche Gegenmaßnahmen gut illustrieren: Bilden Sie aus den Wörtern „Migrant“, „Angst“ und „Messerattacke“ einen vollständigen Satz. Jede Wette, dass der Satz bei den meisten nicht folgendermaßen lautet: „Migranten haben Angst vor Messerattacken.“ Warum sollten sie auch keine haben? Oft genug zählen sie zu den Opfern, was freilich selten in den Vordergrund gerückt wird.
Rund ein Viertel aller Erwachsenen in Deutschland hat einen Migrationshintergrund, mehr als 20 Millionen Menschen. Darunter fünf bis sechs Millionen muslimisch gelesene, also jene Gruppe, der viele der Straftäter zugeordnet werden. Jede einzelne Tat ist eine Katastrophe und die Täter gehören vor Gericht. Stimmte die Propaganda neu-rechter Kreise, müsste es bei diesen Zahlen täglich Hunderte Massaker geben.
Das penetrante Framing vieler Jahre trägt längst pralle Früchte. Wahrnehmung und Wahrheit klaffen auseinander. 2024 ergab eine repräsentative Ipsos-Umfrage, dass der Anteil muslimisch gelesener Personen in Almanya auf 24 Prozent geschätzt wird. Tatsächlich liegt er bei maximal 7 Prozent, eher darunter.
Am Beispiel der Brandenburger Landtagswahl im vergangenen September fand infratest dimap heraus, dass 52 Prozent aller AfD-Wähler:innen die Partei aus Überzeugung gewählt hätten. 42 Prozent aus Enttäuschung von den anderen Parteien.
Hier muss man ansetzen. Bei denen, deren Weltbild kein geschlossen rechtsextremes ist. Laut einer Allensbach-Umfrage von 2021 hat rund die Hälfte der West- und ein gutes Fünftel der Ostdeutschen muslimisch gelesene Freunde oder Bekannte. Sicher befinden sich darunter auch AfDler. Ihnen muss man die Auswirkungen der AfD-Politik auf ihre Freunde, Bekannten, Ärzte, Handwerker und Gastronomen vor Augen führen, sie so persönlich wie nur möglich konfrontieren.
In meiner eigenen Bubble gibt es etliche, die unbemerkt mit Menschenfeindlichkeit sympathisieren, ohne die Tragweite zu sehen. Erkläre ich ihnen, dass auch ich weg wäre – entweder zwangsweise remigriert oder rassistisch weggemobbt – müssen sie schlucken. Was wir brauchen, ist ein ständiges Deframing!
Und dann auch noch das: Von den rund 60 Millionen Wahlberechtigten haben knapp neun Millionen eine Migrationsgeschichte. Die Soziologin Naika Foroutan schrieb 2024: „Würden sie alle für eine einzige Partei stimmen (und läge die Wahlbeteiligung gleich hoch wie im Rest der Bevölkerung), käme diese allein dank der migrantischen Wahlstimmen auf ca. 15 Prozent.“
Unter ihnen Millionen muslimisch Gelesener. Diese Gruppe lässt man jedoch weitgehend unberücksichtigt. Stattdessen laufen etablierte Parteien rechtsradikalen Positionen hinterher. Mit dem Nichtwähleranteil von bis zu 30 Prozent ist das Potential enorm, das mit Erzählungen frei von menschenverachtenden Positionen wohl grundsätzlich mobilisierbar wäre.
Die eher reaktionär Denkenden unter beiden Gruppen greift eine Partei bereits erfolgreich ab – die AfD.
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