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Blumen-Polaroids und eingeschmolzeneHakenkreuze

NS-Relikte als antifaschistische Botschaft: Ariel Reichmans Ausstellung „Keiner soll frieren!“ in Osnabrück folgt einem guten Kerngedanken. Die Umsetzung bleibt aber leider schwach

Papier- und Wachsblumen, die es im Nationalsozialismus für eine Spende ans Winterhilfswerk gab, hat Reichman für seine Polaroid-Serie „Winter Help“ fotografiert Foto: Foto © Ariel Reichman

Von Harff-Peter Schönherr

Relikte der NS-Zeit in der Hand zu halten, löst Schauder aus. Der Berliner Künstler Ariel Reichman hat das oft erlebt. Viele solcher Relikte hat er erworben, um sie dem Memorabilien­markt neorechter Faschismusverehrer zu entziehen, damit sie aufhören zu existieren, damit ihre düstere Macht bricht, Faszination für das Falsche auszuüben. Reichman hat sie umgeformt, verfremdet und mit neuer Bedeutung aufgeladen.

Ideologiegeprägte Metallgegenstände, von der Medaille bis zur Münze, oft mit Reichsadler, mit Hakenkreuz, schmilzt Reichman ein. Er lässt sie schockhaft erkalten und verbindet sie zu lava-, trümmer- und körperhaften Konglomeraten aus Kupferglanz bis Mattschwarz. Es sind bizarre Ge­bilden aus Einschlüssen und Wülsten, Schründen und Graten, zu einem In-, Über- und Aneinander amorphisch-morbider Ästhetik – zuweilen lässt sich der Ursprung des Alten noch erahnen.

Papierblumen, Spendenabzeichen des völkischen „Winterhilfswerks des Deutschen Volkes“ fotografiert Reichman in einer so sanften, naiv unschuldigen Schönheit, dass das Wissen, woher sie stammen, umso beklommener macht.

Zwölf miniaturhafte Gussskulpturen und eine Serie von 70 ebenso miniaturhaften Polaroids umfasst Reichmans Ausstellung „Keiner soll frieren!“ im Felix-Nussbaum-Haus des Museumsquartiers Osnabrück (MQ4), dazu mehrere Blumenkränze als Großflächen-Prints, die das Grauen der Idylle unübersehbar machen. Der Titel der Schau ist das Fragment eines Wahlspruchs des Hilfswerks der 1930er und lässt sich auf die Kälte der heutigen Gesellschaft übertragen, die geschichtsvergessen nach rechts driftet.

Hinzu tritt die schon ältere Installation „I Am (Not) Safe“ im Turm des Hauses, die uns ein Bedienfeld mit „Yes“ und „No“ anbietet – unsere Entscheidung wird Passanten, die draußen auf der Straße zum Turm emporschauen, über den Wechsel einer LED-Leuchtschrift angezeigt. Drittes Element ist der „Space of Mourning“, ein Kontemplationsraum mit Bett, Teppich, Stehlampe, Lautsprecherboxen und einer Musik-Playlist zum Thema Trauer.

„Ariel Reichman. Keiner soll frieren!“: bis 10. 5. 2026, Museumsquartier Osnabrück (MQ4), Felix-Nussbaum-Haus

Die Ausstellung ist Teil der Reihe „Gegenwärtig. Zeitgenös­sische KünstlerInnen begegnen Felix Nussbaum“ und zeigt, „dass Vergangenes nicht vorbei ist“, sagt Nils-Arne Kässens, der Direktor des MQ4. Sie verweise „beunruhigend auf unsere Gegenwart“. Reichman betont, es gehe um „Empathie“, um die Frage, was die Erkenntnis auslöst, „etwas als schön zu empfinden, dass eine so belastete Vergan­gen­heit hat“.

Das ist ein guter Kerngedanke. Eine sinnvollere Verwendung für Relikte des Nationalsozialismus gibt es nicht, als sie dazu einzusetzen, vor diktatorischen Zeiten wie der zu warnen, der sie entstammen. Leider bleibt der Impact inhalt­lich vage. Leider findet kaum politisch-historische Einbettung statt.

Und leider konzentriert sich „Keiner soll frieren!“ nicht auf diese Mission. „I Am (Not) Safe“ und „Space of Mourning“ erweisen sich als Distraktion, sind keine Potenzierung. Was die drei Elemente miteinander verbindet, um welche Sicherheit es geht, um welche Trauer, erschließt sich nicht. Zudem liegen sie in getrennten Teilen des ohnehin schon labyrinthischen Gebäudes, was Suchwege erfordert.

Der Flyer behauptet, dass Reichman hier auch seine eigene Biografie „erforscht“. Die Ausstellung spiegelt nichts davon

Generell fehlt es an Publikumsführung. Ein Beispiel: An den zwölf Skulpturen ist nicht notiert, aus welchen Relikten sie im Einzelnen bestehen. Ein anderes: Wir erfahren nichts zur Geschichte der Blumen, zu ihrer Verarbeitung, ihrem Verbleib. Der ausliegende Flyer schweigt dazu, der Katalog erscheint erst im Dezember.

Viel ist Geraune, gedankliches Gewaber. Der Flyer behauptet, dass Reichman hier auch seine eigene Biografie „erforscht“, seine eigenen Erinnerungen. Mag sein, dass das so ist. Die Ausstellung selbst spiegelt nichts davon. Ebenso rätselhaft bleibt, was „Keiner soll frieren!“ mit Nussbaum zu tun hat. Gut, Reichman stammt aus einer jüdisch-orthodoxen Familie, hat in Israel gelebt und befasst sich mit dem Regime, das Nussbaum 1944 in Auschwitz ermordet hat. Sein ­Trauerraum verweist auf die Schiwa, die siebentägige Trauerperiode im Judentum. Aber das ist mager.

Ariel Reichman in der Ausstellung Foto: Claudia Drecksträter, MQ4

Sicher, Kunst muss sich nicht in allem erklären, Verunsicherungen können produktiv sein, zu Eindeutiges ist oft zu eindimensional, und Informationen, die Besuchende sich selbst recherchieren, können sich nachhaltiger einbrennen als aufbereitet Vorgefundenes. Genau das betont Kuratorin Mechthild Achelwilm auch. Aber etwas mehr Input täte schon gut. Zum Beispiel zu dem merkwürdigen Umstand, dass die Serie der Blumen-Polaroids so niedrig an der Wand hängt, dass sich, wer kein Erstklässler ist, stark zu ihr herab beugen muss – was ästhetische Gründe hat, so Achelwilm, keine inhaltlichen.

Kurz: Der Kern ist konzeptionell Gold – sensibel, doppelbödig und augenöffnend. Aber zur Borke hin dünnt und fasert es aus.

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