Blütenstreifen gegen das Insektensterben: Ausgesummt
Ihre Biomassse ist in den letzten Jahren dramatisch geschrumpft, viele Arten sind verschwunden: Was können wir gegen das Insektensterben tun?
Dass die Biomasse- und artenreichste Tierklasse so derart in die Defensive hat geraten können, hat mit der Art, wie wir Insekten wahrnehmen, zu tun. Im gespannten Verhältnis, das Menschen zu Tieren unterhalten, ist zumal die Beziehung zu Insekten durch theologische Codierungen der Abwertung belastet. Katzenliebe ist okay, Hundeliebe, Pferdeliebe, Affenliebe – alles in Ordnung, sogar Zierfische. Aber Käfer, Flöhe, Wanzen – hält man lieber auf Distanz.
Das Tierschutzgesetz übergeht sie. Und sie zu würdigen, löste immer den Widerstand der Reaktionäre aus: Der sehr katholische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton kontrastiert in „What’s Wrong With The World“ (1910), dass seine Zeit „a definite adoration of the insect“ an den Tag lege und benennt deren „insectolatry“ als drängendes Problem. Damit erfasst der Vater der ultramontanen Detektivstory instinktiv eine literarische Strömung.
Tatsächlich nutzen ab Ende des 19. Jahrhunderts Autoren das tradierte Ekelpotenzial der Kerbtiere zur Inszenierung eigener Abseitigkeit, das Motiv blüht in den europäischen Avantgarden: „Laßt uns den Gottesdienst des Insekts aufrichten!“, fordert Hugo Ball 1913 – drei Jahre vor Dada.
Im theologischen Weltbild bis zur Neuzeit waren die Kerbtiere fest assoziiert mit dem Teufel. In den Texten der Kirchenväter spielen sie zwar keine überragende Rolle, tauchen aber immer wieder als lästige Quälgeister auf, über deren Stellung in Gottes Schöpfung nachzudenken wäre: Augustinus findet auf Noahs Arche keinen eigenen Platz für sie.
Bibelübersetzer Hieronymus verdrängt sie sogar ganz ins Reich des Bösen: Wanzen und Flöhe seien perverse, gescheiterte Versuche des Luzifer, kreativ zu werden. Weshalb Insekten ja, das hatte schon Aristoteles festgestellt, spontan aus Schlamm und Fäulnis wachsen. Die Scholastik wird das Hyperlink:=bekräftigen: Klar neigen auch Katzen und Fledermäuse zum Bösen. Aber Insekten sind es. Sie beweisen die Existenz und das Wirken des Teufels in der Welt.
Aufklärung ist daher Insektenkunde. Wer Gott in die Ferne verschiebt, macht ihn nur unangreifbarer. Wer aber durchs Zergliedern von Insekten natürliche Prozesse freilegt, löscht den Teufel aus der Welt. Ohne den fehlt der Religion Überzeugungskraft. An sich selbst erlebt hat das Jan Swammerdam, der niederländische Naturkundler: Nachdem er zehn Jahre lang die Eintagsfliege erforscht hat, stürzt er in eine Glaubenskrise.
Deshalb reist er 1675 nach Dithmarschen: Auf Nordstrand hatte die Mystikerin Antoinette Bourignon, die Ignoranz als Weg zur Gotterkenntnis lehrte, eine Kolonie gegründet. Swammerdam zu obskurieren gelingt nicht: Zurück in Amsterdam nimmt er die Forschung wieder auf. Er stirbt mit 43 Jahren – an den Folgen eines Moskitostichs.
Keiner aber hat mitreißender das Hohe Lied der Empirie gesungen als Swammerdam in seinen entomologischen Forschungsberichten, keiner hat die Hierarchie der Welt gründlicher erschüttert: Er findet Ordnung und Fortpflanzung, wo laut Kirchenvätern nur schlammgeborenes Teufelszeug sein darf. „Wenn ich die Art und den Bau der aller-geringsten Creaturen gegen der aller-größten ihren halte […]: so werde ich genöthiget, jene nicht allein in gleichen Grad von Würde mit diesen, sondern auch selbst noch über sie zu setzen“, heißt es in seiner „Bibel der Natur“.
Die erscheint erst 60 Jahre nach seinem Tod. Trotz der Theologisierung, die Swammerdam seinen Erkenntnissen darin angedeihen lässt, bleiben sie zu revolutionär: „Meine Thiergen“ nennt er die Insekten immer wieder. Liebevoll. Diese Aufwertung aber erlaubt dem Menschen, sich als Naturwesen zu verstehen – enger verwandt mit einer Eintagsfliege als mit Gott, dessen Söhnen oder einem Geist.
Mehr über das Insektensterben, die Schönheit der Krabbeltiere und die Sinnlosigkeit von Insektenhotels lesen Sie in der gedruckten taz.am wochenende oder hier im e-paper.
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