piwik no script img

Bluesky-CEO Jay Graber über Social MediaDie bessere Zukunft bauen

Jay Graber will das Internet retten. Als Chefin von Bluesky verspricht sie ein Social Media ohne Milliardäre und Trolle. Kann diese Utopie bestehen?

Ist inspiriert von Au­to­r:in­nen wie Ursula Le Guin: Jay Graber im März 2025 auf der SXSW Conference in Austin Foto: Samantha Burkardt/getty images

Jay Graber tritt mit der Souveränität einer Person auf, die jede Frage bereits zu kennen scheint, noch bevor sie gestellt wird. So wirkt beinahe alles, was einem zu sagen einfällt, wie eine Banalität, die man besser für sich behält. Selbst dann, wenn es um die großen, wichtigen Themen geht.

Die Zukunft von Social Media? Ist doch offensichtlich. Protokolle statt Plattformen. Dezentral, interoperabel, föderiert. Wer da noch nicht Bescheid weiß, lebt wohl wie Patrick der Seestern unterm Stein.

Mundus Sine Caesaribus – „Eine Welt ohne Herrscher“, steht in großen Buchstaben auf ihrem T-Shirt, das sie auf der diesjährigen SXSW-Konferenz trägt. Ein unmissverständlicher Diss an Mark Zuckerberg, der zuvor ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Aut Zuck aut nihil“ trug – eine auf ihn gemünzte Abwandlung der lateinischen Redewendung „Entweder Herrscher oder nichts“.

Noch leben wir in einer Welt, in der unsere Kommunikationsinfrastruktur in den Händen milliardenschwerer Silicon-Valley-Autokraten liegt.

Doch die CEO von Bluesky, dem aktuellen Main Character unter den aufkommenden Twitter/X-Alternativen, möchte das ändern. Die 33-Jährige absolvierte einen Bachelor in Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft an der University of Pennsylvania und arbeitete danach als Softwareentwicklerin in der Blockchain-Industrie, bevor sie 2019 in Kontakt mit dem Twitter-Mitgründer Jack Dorsey kam.

Dorsey hatte Bluesky ursprünglich ins Leben gerufen, ist heute jedoch nicht mehr daran beteiligt.

„Billionaire-proof“

Als Graber im August 2021 die Leitung von Bluesky übernahm, sorgte sie zuallererst für dessen vollständige Unabhängigkeit von Twitter – was sich als strategisch kluge Entscheidung erwies. Rund ein Jahr später folgte die Übernahme Twitters durch Elon Musk, der die Plattform auf rechts drehte und anschließend in die Bedeutungslosigkeit trieb.

Bluesky hingegen, so betont Graber, sei „billionaire-proof“. Dafür sorge dessen dezentrale Architektur, die auf dem AT-Protokoll aufbaut. Klingt erst mal sperrig und kompliziert. Dabei nutzen viele von uns bereits Protokolle, ohne es zu wissen. Zum Beispiel beim Verschicken einer E-Mail.

Das „Simple Mail Transfer Protocol“ ermöglicht es etwa, eine E-Mail von einer Gmail-Adresse an eine GMX-Adresse zu senden – statt nur an andere Gmail-Adressen.

Graber ist nicht die Einzige, die dieses Prinzip auch für soziale Medien zum neuen Standard machen möchte. Neben Bluesky gibt es weitere Versuche, dezentrale Architekturen für soziale Netzwerke zu etablieren. Doch anders als etwa Mastodon, das ebenfalls auf einem Protokoll basiert, bietet Bluesky seinen Nut­ze­r:in­nen einen so unkomplizierten Einstieg wie sonst nur Mainstreamplattformen.

Statt eines einzigen, von undurchsichtigen Algorithmen kuratierten Standardfeeds wie auf Instagram, X oder Titok, haben Nut­ze­r:in­nen auf Bluesky die Möglichkeit, verschiedene Feeds zu kreieren und nach Themen zu sortieren – oder denen anderer zu folgen. Graber selbst ­scrollt gerne durch eine Timeline, die ihr ausschließlich Bilder von Moos zeigt, wie sie in Interviews erzählt.

Links zu externen Webseiten bleiben bei Bluesky unbestraft, während andere Plattformen ihre Tore zum offenen Web lieber geschlossen halten. Instagram oder Tiktok setzen alles daran, ihre Nut­ze­r:in­nen möglichst lange in ihrem eigenen Ökosystem zu halten, indem sie Posts mit externen Links downranken. Graber hingegen möchte Bluesky als „Portal“ zu anderen Orten im Netz verstehen – nicht als Festung.

„Es geht darum, den Nut­ze­r:in­nen die Entscheidungsmacht über ihre Daten und Interaktionen zu geben“, sagt sie.

Wenn ihnen Bluesky nicht mehr gefällt, können sie ihre Fol­lo­wer:­in­nen und Beiträge einfach „mitnehmen“ und damit zu einer anderen Plattform wechseln, die auf demselben Protokoll läuft. Die Kontrolle über die Daten, die sonst bei den Konzernen liegt, wird so direkt in die Hände der Nut­ze­r:in­nen gelegt.

Sich die Welt radikal anders vorstellen

Graber vertritt eine paradoxe Position: Sie will Strukturen schaffen, die ihre eigene Rolle überflüssig machen. Ein Netzwerk, dessen Funktionsweise keiner CEO mehr bedarf. Ihre Haltung entspringt einem tiefen Misstrauen gegenüber konzentrierter Macht – ganz gleich, ob sie in Form von Regierungen, Milliardären oder, wie im Fall der USA, aktuell von beiden gleichzeitig ausgeübt wird.

Statt mit den Schriften der neoliberalen Ikone Ayn Rand, die dem Silicon Valley als ideologisches Leitbild dient, wuchs Graber mit der feministischen Science-Fiction von Ursula Le Guin und Margaret Atwood auf. Diese Autorinnen lehrten sie, wie sie sagt, sich die Welt radikal anders vorzustellen, als sie ist.

Unter den Tech-Bros mit Gottkomplex ist Graber eine Ausnahmefigur, auf die man gerne Hoffnungen projiziert. So neu und anders Bluesky sich anfühlt, erinnert es auch ein bisschen an die frühen Tage des Internets, als es noch Spaß gemacht hat. Das Internet war mal ein Versprechen, ein Sehnsuchtsort, eine Utopie. Bevor Marktlogiken es ruiniert haben. Es hätte auch anders kommen können – und kann es noch.

Doch auch Bluesky, warnen kritische Stimmen, sei keineswegs „billionaire-proof“. Aktuell mag Bluesky noch eine harmonische Bubble für Linke sein, ohne Werbung, ohne rechte Trolls, fast so gut wie, nein, besser noch als Twitter damals! Aber in ein paar Jahren, spätestens, wird sich zeigen, dass auch Bluesky von Investoren mit monetären Interessen getragen wird.

So berechtigt diese Warnungen sind – so zynisch ist es, schon jetzt den Ruin von etwas heraufzubeschwören, das zumindest für ein paar Jahre etwas wirklich Gutes sein könnte. Eine technische Lösung für ein politisches Problem mag auf Dauer vielleicht keinen Erfolg haben. Aber alles, das Musk und Zuckerberg auch nur ein kleines bisschen Macht entzieht, ist zumindest begrüßenswert.

Enjoy it, while it lasts!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Mit Verlaub, da ist die Autorin der Werbung von Bluesky auf den Leim gegangen. Das wirklich offene Protokoll für dezentrales Social Media ist ActivityPub, so wie es beispielsweise bei Mastodon Instanzen verwendet wird. Bluesky verwendet das nicht, unter fadenscheinigen Argumenten. Man besteht auf seinen eigenen Bsky standard, der Austausch mit anderen dezentralen Instanzen eigentlich verhindert. Der Effekt: Daten können nicht einfach ausgetauscht werden, ist wie Greenwashing, man tut so will aber nicht wirklich dass Leute "frei" sind. Die Lock-in Effekte bleiben, wie bei den anderen fiesen Netzwerken eben auch. Auch Links, die von Bsky kommen sind von aussen nicht einfach einsehbar. Bedeutet: kann man getrost vergessen und gleich was wirklich freies nutzen. Ich verstehe nicht, dass die Autorin das nicht ordentlich recherchiert hat, es ist eine große Diskussion in der interessierten Community und mit unabhängigen Suchmaschinen nicht schwer zu finden.

    • Katharina Stahlhofen , des Artikels,
      @Genderbender:

      Vielen Dank für den Hinweis – die Kritik ist absolut berechtigt und Teil einer wichtigen Debatte. Die Vorteile von ActivityPub sollen hier auch gar nicht negiert werden und es ging mir auch nicht um die oft gestellte Frage, welche Twitter-Alternative denn nun die beste sei – die sich in dieser Absolutheit, denke ich, eh (noch) nicht beantworten lässt. Am Ende muss sich zeigen, ob Bluesky seinen Versprechen gerecht wird oder nicht. Kritische Begleitung ist wichtig, keine Frage – aber ein bisschen Hoffnung ebenso. Vieles hängt sicherlich davon ab, wie konsequent Bluesky Föderation mit Drittservern ermöglicht.

  • "Wenn ihnen Bluesky nicht mehr gefällt, können sie ...zu einer anderen Plattform wechseln" Genau das ist nicht möglich, da Bluesky die einzige Plattform ist. Es gibt keine anderen Plattformen, die das AT-Protoll von Bluesky einsetzt. Diese werden zwar seit langem angekündigt, aber es passiert nicht.



    Die einzige Plattform, auf der ein einfacher Wechsel wie beschrieben möglich ist, ist Mastodon. Nur hier gibt es tatsächlich mehrere so genannte Instanzen, zwischen denen man wechseln kann.

  • "Aktuell mag Bluesky noch eine harmonische Bubble für Linke sein, ohne Werbung, ohne rechte Trolls, fast so gut wie, nein, besser noch als Twitter damals!"

    Man sollte die Vergangenheit auch nicht zu positiv verklären und so tun, als hätte es unter der früheren linken Dominanz auf Twitter so etwas wie übertriebene oder ungerechtfertigte Shitstorms nicht gegeben. Dafür war Twitter von Anfang anfällig, aber vielen Menschen fällt das halt erst auf, wenn die Shitstorms aus dem gegnerischen politischen Lager kommen.

  • “ Enjoy it, while it lasts!” finde ich kritisch und ziemlich unreflektiert. Die letzten Ausfälle bei BlueSky haben doch gezeigt, dass es mit der Föderation nicht weit her ist. Wie man umziehen sollte auf einen anderen Server hat auch noch niemand gezeigt. So schwer ist das Fediverse (was eben nicht nur Mastodon ist, sondern auch Pixelfed…) nun auch nicht. Und es hat den Vorteil, dass man nie wieder ein neues soziales Netzwerk suchen muss, da alle Dienste mit allen anderen sprechen können. Ist schon sehr verwunderlich, dass gerade überzeugte Linke lieber bei großen kapitalistischen und zum Teilen von Faschisten geführten Plattformen publizieren und diese damit aktiv finanziell fördern, weil die Alternativen ja „so kompliziert sind“. Seit wann muss Antifaschismus bequem sein, damit man sich beteiligt? Wo ist der Unterschied ob man auf X/Twitter veröffentlicht oder in einer rechten Zeitschrift, was ja auch (zu Recht) kritisiert wird?

    • @Wuppi:

      Find ich nicht! Es geht doch hier nicht um darum, ob Bluesky die perfekte Alternative ist, sondern um ein schönes Porträt der CEO. Wer genau liest, dem müssen doch zumindest auch die Einschränkungen und die nuancierte Abwägung der Autorin auffallen?! Den alternativen Führungsstil einer Frau in der nervigen Welt der Techbros kann man doch zumindest mal positiv erwähnen. Klar wäre es cooler, es gäbe eine breitere antikapitalistische Bewegung hin zu tatsächlichen Alternativen, aber ist halt leider Wunschdenken und repräsentiert nicht die aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen…

    • Katharina Stahlhofen , des Artikels,
      @Wuppi:

      Danke für den kritischen Kommentar! Das Fediverse ist total unterstützenswert, keine Frage. Über dessen Vorteile wurde auch in der taz schon einiges geschrieben :)