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Blau für die Treue zur Heimat

■ Neue Revanchisten-Bibliothek mit Schmachtschmökern „aus der Heimat“

Gunda Baumgarten steht glücklich vor ihrer einjährigen Fleißarbeit. Ein vier Meter breites Bücherregal hat sie in der Geschäftsstelle des Bundes der Vertriebenen eingerichtet, aus Spenden und alten, bislang ungesichteten Kellerbeständen. Gestern war offizielle Eröffnung der „Heimatbibliothek“: Die 600 Bände und 480 Schriften, die das fleißige Mitglied des Vertriebenenbundes für die Öffentlichkeit systematisiert hat, bilden eine Sammlung, „die so konzentriert bisher nicht zu finden“ war (Jutta Maller, Bremer Landesvorsitzende des Vertriebenenbundes).

Recht hat sie. Dickrückig drücken zahlreiche Bände „Dokumentatation der Vertriebenen aus Ost-und Mitteleuropa“ die Regalbretter durch, Haupterscheinungsjahre: 1950 bis 1962. Dazwischen Romane, Heftchen und Heimatpamphlete zur Erbauung derer, die sich immer noch aus den Gebieten „Deutsch-Baltikum“, „Mitteldeutschland“ (ehemalige DDR) oder „Siebenbürgen“ (Rumänien) vertrieben fühlen.

Zum Beispiel Herbert von Hoerners Heimatroman „Der graue Reiter“, der das ergreifende Schicksal des pommerschen Bauern Wezrumba schildert: Ein Wirbelsturm zerstört ein altes, hölzernes Stallgebäude Wezrumbas, der, allen Unkenrufen zum Trotz, die Ruine durch einen gemauerten Stall ersetzen will.

Derlei Modernisierungsarchitektur wird im Pommerschen nicht wohl gelitten: Dem Wezrumba erscheint der „Graue Reiter“, eine Sagengestalt vom Format des Stormschen Schimmelreiters. Wezrumbas Schicksal wird im Kampf gegen den „Grauen“ besiegelt.

Der „Graue Reiter“ ist ein gefundenes Fressen für alle bibliophilen „Heimatvertriebenen“. In der neuen Bücherei am Herdentorsteinweg ist der Schmöker in einer Ausgabe von 1941 zu haben, unwetter- und rußlandfeldzugstauglich, in einer Ausgabe der Leipziger Tauschnitz Edition. Anmerkung des Verlages: „Nur zum Verkauf außerhalb des großdeutschen Reiches“.

Solche Schmachtfetzen aus der „Heimat“ stehen neben zahlreichen „sachkundlichen“ Broschüren auch jüngeren Datums. Hans- Heinz Baders „Deutschland vor der Entscheidung“, so verspricht der Stuttgarter Leoni Verlag im Klappentext, ist ein Plädoyer „gegen Kriegsschuld- und Kollektivschuldlügen, gegen Selbstverleugnung und Selbstbeschuldigung“.

Der Autor rückt darin die deutsche Gesellschaft ins rechte Licht: Wir leben in einer „permissiven Gesellschaft individualistisch-anarcho-liberaler Ausartung, in der von links bis links außen alles grenzenlos erlaubt ist“. In dieser Gesellschaft würden „soldatische Tugenden wie Disziplin, Gehorsam, Pflichtbewußtsein, Einsatzbereitschaft, Gemeinschaftsgeist und Kameradschaft, preußische Werke, die eine fundamentale Bedeutung für jede militärische Ordnung und darüber hinaus für jede funktionierende Staatsordnung haben“, verzerrt dargestellt.

Schließlich gibt es auch pädagogische Handreichungen für interessierte Lehrkörper: Die „Ostkunde“ von Eugen Lemberg beispielsweise, dem „die Pflege des deutschen Ostens im Unterricht ein gesamtdeutsches Anliegen“ ist. Oder die „Arbeitshefte für Schüler-und Jugendgruppen“, die zum „Schicksalskampf des Deutschen Volkes um sein Lebensrecht in voller Selbstständigkeit“ aufrufen.

Um sich in dem komplizierten Labyrinth zwischen Pommern, Schlesien, Baltikum und Preußen zurechtzufinden, hat Hobbybibliothekarin Baumgarten eine eigene Bibliohekssystematik entwickelt.

Der Bereich „Deutschtum und Deutschland“ ist am Buchrücken rot gekennzeichnet, die Geschichte Berlins (“unsere Hauptstadt“) ziert zusätzlich ein gelber Streifen. Die Geschichte „Mitteldeutschlands“ (DDR) ist rot und grau ausgezeichnet (“weil das für uns immer eine Grauzone war“), und die „deutschen Ostgebiete rot-grün (“für die Hoffnung, daß uns die Geschichte unsere Heimat einmal zurückgeben wird“). Die „Siedlungsgeschichte“ schließlich ist mit einem blauen Streifen markiert: „Für die Treue zur Heimat“, wie die „Deutschbaltin“ Baumgarten hilfreich erklärt.

Die „Heimatbibliothek ist jeden 2. Montag im Monat geöffnet, zwischen 11.00 und 15.00 Uhr in den Räumen des Bremer Landesverbandes „Bund der Verteibenen“, Herdentorsteinweg 44/45.

mad

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