Björks Album „Vulnicura“: Schmerz als Chance auf Heilung
Björks neues Album ist im Netz aufgetaucht, zwei Monate früher als geplant. Statt zu schmollen, macht die Musikerin „Vulnicura“ digital zugänglich.
Eine wahre Diva erkennt man an ihrer Größe in der Krise. Als Madonnas letztes Album vor ein paar Wochen über das Internet leakte, schrie sie „Vergewaltigung“ und schmiss ihren Fans ein paar billig produzierte Stücke Stangenware hin. Björk passierte Anfang dieser Woche das Gleiche, aber sie klagte nicht, sondern schrieb „Danke für das Interesse“ auf ihre Facebook-Seite, und seit Donnerstag ist ihr aktuelles Werk „Vulnicura“ als digitaler Download erhältlich.
Denn wer würde seinen Fans die Neugier auf neue Musik mehr verzeihen als Björk, der Überfan jeglicher Art von Musik? Björk, die ozeanische Musikhörerin, die unbelastet von jeglichen Stilkriegen im Interview sagt, sie höre nicht viel experimentellen HipHop, um dann kurz darauf genau mit dem experimentellen HipHop-Produzenten zusammenzuarbeiten, der unter Musiknerds gerade hoch gehandelt wird.
Auf „Vulnicura“ übernimmt diese Rolle Alejandro Ghersi alias Arca, der mit seinen Spektrografie-Samples und verhallten Synkopen einen Kontrast zu den impressionistischen Streicherarrangements setzt, die Björk für dieses Album geschrieben hat und die seinen Klang dominieren.
Denn „Vulnicura“ ist ein persönliches Album, ein „Singer-Songwriter-Album“, wie Björk sagt. Sein Titel ist ein Portmanteauwort aus „vulnerable“ – zerbrechlich – und „cure“, der Heilung. Nur dass bei Björk nicht die Zerbrechlichkeit geheilt werden muss, sondern sie sich selbst heilt, indem sie sich in all ihrer Fragilität präsentiert. „Don’t remove my pain / It is my chance to heal“ – mein Schmerz ist die Chance auf Heilung, singt sie in „Notget“.
Nie wieder Hausboot
„Vulnicura“ ist das Tagebuch einer Trennung, das Björk so sorgfältig datiert hat, wie es die Imagination zulässt. Drei Songs spielen vor, sechs Songs nach dem Ereignis, das im Mittelpunkt dieses Albums steht: ihre Trennung von Matthew Barney. Über ein Jahrzehnt war sie mit dem US-Filmemacher zusammen, sie waren ein Traumpaar: Björk, die Auteurin unter den Popstars, und Barney, der Künstler, der in stundenlangen Filmen seine Privatmythologie zwischen Weltliteratur und albernem apokalyptische Unsinn entfaltet.
Björk: „Vulnicura" (Embassy of Music/Warner/Zebralution)
Wenn Björk in Interviews davon erzählt, wie die beiden ihr Kind mit auf ihr Hausboot nehmen, dann wäre man gern anstelle dieses Kindes an Bord. Aber diese Szenen sind Vergangenheit.
„Did I love you too much?“, fragt sie ihren Verflossenen auf „Black Lake“, kurz bevor Arca die Parameter seiner Bassdrum zu einem Crescendo moduliert. „Black Lake“ ist das Herzstück von „Vulnicura“, ein zehnminütiges Stück, in dem Björks Stimme lange allein über den Streichern steht und sie sich in Synkopen über den Song hangelt, bevor sie zu der Erkenntnis gelangt, dass die Emotionen ihres Exfreundes über seinen apokalyptischen Bildern versiegt seien.
„Emotional respect“
Es ist der Wendepunkt des Albums. Drei Songs vorher verausgabt sich Björk in Selbstzweifeln, jetzt findet sie ihre Stärke wieder. Wobei es schwierig ist, in Björks Musik ein objektives Korrelat zu den Emotionen zu finden, die sie in ihren Texten beschreibt. Egal ob Björk „emotional respect“ von ihrem Expartner fordert oder zum Finale trotzig „I am not hurt“ verkündet – Björk präsentiert ihre Gefühle eben nicht theatralisch. Sie erzählt uns, was sie fühlt, anstatt es uns vorzuführen. Wir könnten es ja eh nicht nachvollziehen.
Aber wieso auch? „Vulnicura“ ist ein Album über Trennungsschmerz von Björk, kein Album, dass dafür gemacht ist, mit ein paar Akkordfolgen der Soundtrack für den Trennungsschmerz seiner Hörer zu sein. Björk ist unser Trennungsschmerz viel zu ernst, als dass sie sich anmaßen würde, dass ausgerechnet ihre Musik die heilende Kraft des Universums für jemand anderes außer ihr selbst sein könnte.
Mit dem gleichen Prinzip begegnet sie ihren Mitmusikern auf „Vulnicura“ – auch sie sind da, weil sie ein Gegenüber sind. Arcas flüchtige Sounds kreisen um die streng komponierten Streicher und reißen sie immer vorm Abgrund des Pathos hinweg. Bobby Krlic hat die Songs so abgemischt, dass sich immer wieder die körperlich zittrigen Drones ergeben, die sein Projekt Haxan Cloak auszeichnen. Aber nirgendwo ist Björks Vertrauen in ihre musikalischen Partner größer als auf „Atom Dance“, einem Duett, das sie mit dem queeren Balladensänger Antony Hegarty anstimmt.
Emotional, introvertiert, offen
„No one is a lover alone“ singen die beidem im Duett, und Antony darf Björk nicht nur in den Hintergrund drängen, sondern verleiht dem Duett schon fast eine bluesige Schwere, bevor seine Zeile durch die Computer zu der eines grotesken Cyborgs wird. Auch das unterscheidet Björk von Madonna – sie schmückt sich nicht mit den Insignien von Queer Culture, sondern tritt dahinter zurück.
„Vulnicura“ ist ein glaubwürdiges Album – zum Glück. Denn Björk findet so weg von der konzeptionellen Eindeutigkeit ihres letzten Albums „Biophilia“, diesem Gesamtkunstwerk über das Verhältnis von Mensch und Natur, das mit einer Multimedia-Show, einer Smartphone-App und Unterrichtsmaterial für isländische Schulkinder einherging. „Ich war ein wenig wie Kofi Annan“, erzählt Björk im Rückblick über diese Phase.
Jetzt hat sie endlich wieder in die Rolle zurückgefunden, die ihr am besten steht: Björk in all ihren Widersprüchen. Die Hippiekommune ihrer Kindheit im Hinterkopf, emotional, introvertiert und dabei offen genug, mit allen interessanten Menschen auf diesem Planeten problemlos Freundschaft zu schließen. Nach dem Ende ihrer ersten langen Beziehung begann Anfang der Neunziger Björks Solokarriere, nach „Vulnicura“ muss man sich um Björks Spätwerk keine Sorgen machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut