Bizarrer Schwulentest fürs Smartphone: Das Recht, Großmutter zu werden
Anhand banaler Fragen will eine App feststellen können, ob der Sohnemann ein Homo ist. Dabei reproduziert sie die Klischees, mit denen junge Schwule auf dem Schulhof kämpfen.
BERLIN taz | Woher wissen Sie eigentlich, dass mit Ihrem Sohn alles in Ordnung ist? Was treibt der Kleine denn immer so lange im Badezimmer und haben Sie nicht kürzlich erst Ihren Lippenstift vermisst? Warum hat er nie Schrammen, selten Hunger und ständig diese Puppe im Arm? Was ist eigentlich seine Lieblingsfarbe? Und was denken die Nachbarn?
Ganz ruhig! Denn mit der französischen Smartphone-App "mon fils est-il gay?" (dt: "ist mein Sohn schwul?") können Sie alle Zweifel ausräumen. Alle Zweifel, immerhin, über das Fortbestehen der kognitiven Schubladen, in die junge Schwule immer noch gepresst werden. Und die nahelegen, dass ein frühes Coming-Out die Persönlichkeitsbildung doch oft einschränkt, statt sie zu fördern.
Denn wer sich schon während der Pubertät an den immergleichen Klischees abarbeitet, hat weniger Raum für Entdeckungstouren abseits der heteronormativen Trampelpfade. Nein, ich gehe nicht in Darkrooms. Nein, es gibt nicht Mann und Frau in schwulen Beziehungen. Nein, ich möchte dich nicht beim Shoppen beraten. Statt ständig erklären zu müssen, was sie nicht sind, sollten junge Schwule sich selbst fragen dürfen, was sie sein wollen.
Die unliebsame App reproduziert die gängigen Klischees in erschreckend unverhohlener Stumpfheit. Zwanzig Fragen mit dem wissenschaftlichen Gehalt einer Eva-Hermann-Abhandlung. Zwei mögliche Resultate, die aller Graustufen entbehren. Ist ihr Sohn ein ungewaschener, sportbegeisterter Raufbold: Herzlichen Glückwunsch, "Sie haben weiter die Chance, Großmutter zu werden, mit allen Freuden, die das mit sich bringt!" Sollte der Sprössling aber Schlägereien meiden, Musicals mögen oder gar ein Piercing tragen: Leider verloren. "Unnötig sich etwas vorzumachen, er ist schwul", müssen die bestürzten Eltern in der Testauswertung erfahren.
"Unnötig, sich etwas vorzumachen"
Statt lästiger zwischenmenschlicher Auseinandersetzungen also digitales Kaffeesatzlesen zum Download-Preis von 1,99 Euro. Bleibt zu hoffen, dass nur wenige Eltern die Inquisitions-App ernst nehmen. Aber das müssen sie auch nicht, erklären die Entwickler von emenne-moi in einer Reaktion auf die mannigfachen Proteste. Man halte die App für legitim, da "eine Mutter das Recht habe, zu erfahren, ob ihr Sohn schwul ist". Die Herangehensweise sei jedoch "eher spielerisch" und "nicht wissenschaftlich".
Bei Interessensgruppen jedenfalls fällt das Lachen verhalten aus. In Stellungnahmen bezeichnen sie das Programm als erniedrigend und grob vereinfachend. So bedauert der Genfer Schwulen-Verband Dialogai auf seiner Website, "im Jahr 2011 noch erklären zu müssen, dass es auch Schwule gibt, die Fußball mögen oder Kinder zeugen".
Indes floriert der Markt für Smartphone-Apps: laut einer aktuellen Studie werden Nutzer in diesem Jahr weltweit 6,2 Milliarden Dollar in Downloads investieren. Viele der mehr als 425.000 momentan erhältlichen Anwendungen bieten Lebenshilfe mit dem Lernwert eines Anrufs im Neunlive-Astro-TV. Neben eher harmlosen "Liebt-er-mich?"- oder "Anti-Haarausfall"-Apps gelangen immer wieder auch diskriminierende und entwürdigende Programme in die virtuellen Store-Regale. So nahm Apple im März eine "Läuterungs-App" aus dem Angebot, die Schwule mit biblischen Lehren aus der Lasterhaftigkeit befreien wollte.
Erst vor zwei Wochen zwangen lautstarke Proteste den Konzern, eine Anwendung zu löschen, die es dem User erlaubte, sein Umfeld in Juden und Nicht-Juden zu unterteilen. Der Clou war dabei eine Hitliste prominenter Juden, die die meisten Abfragen auf sich vereinen konnten. In Frankreich jedoch verstieß das nicht nur gegen den guten Geschmack, sondern auch gegen geltende Antirassismusgesetze. Die verbieten es, Mitbürger anhand ihres ethnischen oder religiösen Hintergrunds zu katalogisieren und entsprechende Daten öffentlich zu machen.
Künstliche Trennlinie
Immerhin prophezeien Experten der App eine geringe Lebensspanne. Anders als bei der Juden-Detektor-App ist es aber schwierig, "ist mein Sohn schwul?" auf dem Rechtsweg den Stecker zu ziehen. Das unterstreicht Stéphane Corbin, Frankreich-Spreicher des LGBT-Verbands (Lesbian Gay Bisexual Transgender) im Gespräch mit France Soir.
So wäre es beispielsweise möglich, entsprechende Schritte einzuleiten, wenn die App "Welche Person ist schwul?" hieße. Zwar sei die App zusätzlicher Ballast auf den Schultern junger Schwuler, indem sie artifizielle Trennlinien zwischen ihnen und "normalen" heterosexuellen Jugendlichen zeichne. Eine Klage wäre aber trotzdem aussichtslos, so Corbin. Nur eine neue Welle der Empörung kann die Inquisitions-App also aus dem Android-Markt spülen - nach Angaben von Google France steht sie bereits auf dem Prüfstand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja