: „Bitte kein Applaus, das bin ich nicht gewöhnt“
Beim Kampf um Köln mobilisiert Rot-Grün für die OB-Kandidatin Anne Lütkes alle verfügbaren Kräfte ■ Aus Köln Pascal Beucker
Es war ein bewegender Moment. Auf einer Videoleinwand erscheint ein alter, gebrechlicher Mann. Und er macht etwas, das für ihn noch vor ein paar Wochen undenkbar gewesen wäre: Hans-Jürgen Wischnewski, der frühere Trouble-Shooter Helmut Schmidts, ruft zur Wahl der grünen Oberbürgermeisterkandidatin auf. 33 Jahre lang wählten ihn die Kölner als ihren Vertreter in den Bundestag, deshalb fühle er sich nun „verpflichtet, eine Empfehlung zu geben“, so das sozialdemokratische Urgestein. Alle im Saal merken, dass ihm das nicht leicht fällt. Und doch: „Ich empfehle die Wahl von Frau Anne Lütkes!“ Denn Köln sei schwarz genug geworden.
Ausgerechnet im altehrwürdigen Kölner Gürzenich, wo seit vierzig Jahren der Kölner Karnevalsprinz proklamiert wird und wo noch im Sommer die Staatsmänner Europas sich zum Gipfel trafen, fand am Donnerstagabend die Wahlkampfabschlussveranstaltung der grünen OB-Kandidatin Anne Lütkes statt. Auf einer „bunten Wahlrevue“ erklärte ein Großaufgebot an lokaler und überregionaler Prominenz von der Bühne oder per Videoeinspielung: „Ich wähle Anne Lütkes, weil ...“
Von der Schauspielerin Renan Demirkan über den Verleger Reinhold Neven DuMont, die Journalistin Gisela Marx, den Musiker Purple Schulz bis hin zum Kölner DGB-Vorsitzenden und SPD-Bundestagsabgeordneten Conny Gilges – fast alles, was in Köln Rang und Namen und kein CDU-Parteibuch in der Tasche hat, will seinen Teil dazu beitragen, das Unmögliche möglich zu machen: Dass die viertgrößte Stadt in der Bundesrepublik zukünftig von einer Grünen regiert wird.
Ob Lütkes eine Chance hat, wird von den sozialdemokratischen Stammwählern abhängen, die der SPD vor vierzehn Tagen durch Wahlboykott einen Denkzettel verpassten. Gelingt es nicht, zumindest einen Teil von ihnen zur Urne zu bringen, dürfte die 51-jährige Rechtsanwältin chancenlos sein. Immerhin jedoch konnte sich die Kölner SPD nach langem Hin und Her am vergangenen Sonntag für eine Wahlempfehlung zugunsten der Grünen entscheiden. An der Lütkes-Veranstaltung nahmen denn auch Parteichef Uhlenbruch und Fraktionschef Rüther teil.
Und Franz Josef Antwerpes. Der dienstälteste Regierungspräsident Deutschlands, bisher nicht als Freund der Grünen aufgefallen, sorgte für ungewohnte Beifallsstürme. Sein Hinweis „Bitte kein Applaus, das bin ich nicht gewöhnt“, nützte nichts. Denn ausgerechnet der rechte Sozialdemokrat hielt die kämpferischste Rede für die Grüne Lütkes. Sie sei eine „Frau, die ihr Geschäft versteht und eine Stadt auch lenken, leiten, verwalten kann – und da habe ich beim Gegenkandidaten erhebliche Zweifel“. Köln dürfe „nicht von einer Laienspielschar regiert werden“. Er befürchte, „dass es in Köln eine erzkonservative Politik gibt“. Das müsse verhindert werden. Für Antwerpes sei daher klar, wen er zu wählen habe: „Anne Lütkes soll Oberbürgermeisterin werden, und ich bin überzeugt, sie wird ihre Sache gut machen.“
Was zudem für Lütkes spricht: Die Kölner halten sich und ihre Stadt von jeher für etwas Einzigartiges. Etwas zu haben, was ansonsten keine Großstadt der Republik hat, würde vielen daher gut gefallen. Und CDU-Oberbürgermeister gibt es wie Sand am Meer.
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