„Bis zu den Wahlen alles abstreiten“

■ Ein V-Mann des Verfassungsschutzes erzählt / Von Till Meyer und Wolfgang Gast

Für Innensenator Kewenig wird es langsam brenzlig. Durch die Beichte eines V-Mannes des Berliner Verfassungsschutzes in der taz ist jetzt eine der zentralen Anschuldigungen gegen die Spitzelbehörde belegt: Gegen alle Dementis des Innensenators hat der V-Mann Steffen Telschow versucht, den Abgeordneten Erich Pätzold, Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission, auszuhorchen.

In der Sitzung des Berliner Innenausschusses am 28.November brachte der SPD-Sicherheitsexperte Erich Pätzold Brisantes ein: Er wollte vom skandalgebeutelten Verfassungsschutzsenator Kewenig wissen, ob dessen Behörde ihm mehrere Male einen V-Mann geschickt habe, der ihn aushorchen sollte. Innensenator Kewenig geriet in Rage: „Der Verfassungsschutz ist keine Mischung aus Kindergarten und Irrenhaus.“ Empört trumpfte Kewenig auf und hielt dem Sicherheitsexperten der SPD statt dessen entgegen, er habe „jeden Versuch einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zur demokratischen Kontrolle des Verfassungsschutzes abgelehnt und betätige sich hier in der Maske des Biedermannes als Brandstifter“.

Eine vertrauensvolle Arbeit konnte es für Pätzold zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr geben. Vier Tage zuvor, am Donnerstag, den 24.November, hatten er und sein Kollege Hans -Georg Lorenz mit einem großen Knall ihre Mitarbeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) aufgekündigt. Der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte: Pätzold habe sichere Informationen, daß der Verfassunsgsschutz insgesamt dreimal einen V-Mann geschickt habe, um ihn als PKK-Mann über seine Quellen auszuhorchen. Über diese Besuche - so Pätzold - habe der V-Mann anschließend bei seinem Führungsbeamten Bericht erstattet. CDU-Rechtsausleger Wienhold, der für die Union in der Parlamentarischen Kontrollkommission sitzt, hielt Pätzold daraufhin entgegen: „Ihr Vorwurf, bespitzelt worden zu sein, ist absurd.“

Absurd sind allerdings nicht die Vorwürfe der Sozialdemokraten - absurd ist das Verhalten der Berliner Innenbehörde. Die abgestrittenen Berichte über die Treffen mit Pätzold liegen dem Verfassungsschutz vor. Bestätigen kann das niemand besser als die Person, die dafür verantwortlich zeichnet: Steffen Telschow, 24 Jahre, Deckname „Lange“, und seit September 1988 Verbindungsmann der Abteilung „Terrorismusbekämpfung“. Als V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes hat er Pätzold aufgesucht und anschließend seinem Kontaktmann „Max Fock“ Bericht erstattet. Gegenüber der taz bestätigte Telschow ausdrücklich, daß er nach seinen Treffen mit Pätzold seinem Kontaktmann in der Spitzelbehörde, „Max“, darüber berichtete. Von „Max“ sei er auch „definitiv wieder hingeschickt“ worden. Das besondere Interesse von „Max“ galt dabei Informationen, inwieweit der SPD-Sicherheitsexperte um Amtsinterna wußte.

Nachdem in verschiedenen Zeitungen Berichte über einen vermeintlichen steinewerfenden Verfassungsschützer auftauchten, vereinbarte Telschow mit Pätzold einen Termin. Rückendeckung dafür hatte er beim Landesamt. V-Mann-Führer Max Fock betonte: Dementieren, die Legende durchhalten, deine Unschuld beteuern. Besuche beim SPD-Abgeordneten sollten sich ins Bild der Unschuldsbeteuerungen einfügen. Nach dem Besuch bei Pätzold zeigte sich der V-Mann-Führer hochzufrieden. Es sei eine gute Idee gewesen, in der Pose des schuldlos in Verdacht Geratenen bei Pätzold anzuklopfen. Telschows Befürchtungen, was denn passieren könne, wenn der Schwindel auffliege, wischte „Max“ kurzerhand vom Tisch. Für das Amt gab es jeweils Berichte über den Mann, der über seine Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission den Sumpf des Verfassungsschutzes auszutrocknen suchte. Dreimal besuchte der V-Mann Pätzold, das erste Gespräch dauerte eine halbe, das zweite etwa zwei Stunden. Beim dritten und letzten Besuch hielt der Sozialdemokrat dem aus der DDR abgeschobenen Steffen Telschow seine Spitzel -Tätigkeit vehement vor. Den gleichlautenden Vorwürfen Pätzolds in der Sitzung des Abgeordnetenhauses trat zuletzt Innensenator Kewenig nochmals entgegen. „Nie“ sei jemand vom Verfassungsschutz auf den Genossen Pätzold angesetzt gewesen. Und für den Koalitionspartner nannte das FDP -Mitglied des Innenausschusses, Oxford, die Anschuldigungen ein „absurdes Theater“.

Steffen Telschow war auf den „Randbereich des Terrorismus“ angesetzt. Angeboten hatte er seine Mitarbeit freiwillig. Aus der DDR nach einem Hungerstreik im Februar 1988 ausgewiesen, rächte er sich an den DDR-Staatsorganen, indem er sein Wissen über eine mobile Nachrichteneinheit der Nationalen Volksarmee, der er eineinhalb Jahre angehörte, dem französischen Geheimdienst offenbarte. Das Interesse des französischen Geheimdienstes galt besonders dem Vater von Steffen Telschow. Er ist Oberst in der Bereitschaftspolizei der DDR.

Über sich selbst sagt Telschow im Gespräch mit der taz: „Ich bin vielleicht linker als ihr beide zusammen.“ In der DDR habe er alles gehortet, was über den Terrorismus zu haben war: über RAF und Rote Brigaden. Nach West-Berlin ausgewiesen, hätte er sich hier einer bewaffneten Gruppe anschließen wollen. Um an sie heranzukommen, wollte er sich der Geheimdienste bedienen. Er wollte „dem Verfassungsschutz eins auswischen“. Telschow wandte sich an seine einzige Kontaktperson. Noch im Frühjahr ging er im Aufnahmelager Marienfelde zu jenem Herrn „Klein“, der ihn für den französischen Geheimdienst vernommen hatte. Von den Franzosen wurde er dem Berliner Verfassungsschutz überstellt. Der erste Kontakt mit seinem künftigen Führungsoffizier „Max Fock“ kam Anfang September in einem Steglitzer Hotel zustande. Die späteren Unterweisungen und Aufträge erhält der frisch Angeworbene regelmäßig in der Autobahnraststätte am Funkturm. Zu den Treffen tarnt sich der Verfassungsschützer „Fock“ als LKW-Fahrer.

In den ersten Aufträgen soll er die Gegner der IWF und Weltbanktagung bespitzeln. Später soll er eine „Proletarische Aktion“ infiltrieren, eine Gruppe die bereits einen Anschlag ausgeführt haben soll und zu denen er über einen Anarcho-Laden in der Berliner Rahtenower Straße Zugang finden soll. Steffen Telschows Absicht, sein Abitur in Berlin nachzuholen, verbinden die Verfassungsschützer mit dem Auftrag, die „Schule für Erwachsenenbildung“ im Kreuzberger Alternativzentrum Mehringhof, bei der er Schüler ist, auszuspähen. Bei den Anti-IWF-Aktionen und den Demonstrationen vor Ort wählt er die 867 24 16, die Nummer seiner Dienststelle, und berichtet die Ereignisse. Nach eigenen Angaben will Steffen Telschow auch Falschmeldungen abgesetzt haben. Am 28.September wird er unplanmäßig vor dem „Schweizer Hof“ verhaftet. Er hatte einen Stein in Richtung Hotel geworfen und eine davor parkende Luxuslimousine demoliert. Ein „ehrlicher Stein“, wie er sagt, ganz ohne Dienstauftrag. Nach der Festnahme ersucht er um ein Gespräch unter vier Augen mit dem Staatsanwalt Schweizer, ein Beamter, der ihm als „sicherer Mann“ von „Max“ genannt wurde. In dem vertraulichen Gespräch nennt er eine Telefonnummer des Berliner Verfassungsschutzes. Anschließend willigt auch der Staatsanwalt in ein gerichtliches Schnellverfahren ein, Steffen Telschow wird zwei Tage nach seiner Festnahme wegen Landfriedensbruch zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollzug auf drei Jahre Bewährung ausgesetzt wird.

Seit Mitte November will Steffen Telschow dem Verfassungsschutz keine Informationen mehr geliefert haben. Die letzten Treffen galten nur noch dem von der SPD geäußerten Spitzelverdacht. Kontaktperson Fock bekräftigte jedesmal: „Abstreiten, abstreiten und warten - mindestens bis nach den Wahlen Ende Januar.“