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Archiv-Artikel

Bis der Regen kommt

Hilfsorganisationen warnen: Vor Ende Juni muss sudanesischen Flüchtlingen geholfen werden

VON DOMINIC JOHNSON

Die Zeit drängt. Über 1,1 Millionen Kriegsvertriebene in der westsudanesischen Region Darfur und mehr als 110.000 Darfur-Flüchtlinge im Nachbarland Tschad warten auf Hilfe. Die muss innerhalb der nächsten 6 Wochen einsetzen, denn dann beginnt im Krisengebiet die Regenzeit, die Straßen werden unpassierbar, und es droht ein Massensterben, warnen Hilfswerke.

„Es könnte sein, dass bis zu 30 Prozent der betroffenen Bevölkerung, möglicherweise hunderttausende Menschen, in den nächsten neun Monaten sterben“, erklärte Roger Winter von der US-Entwicklungshilfsbehörde USAID in einer Anhörung des US-Kongresses am 6. Mai (siehe links). Die Bundesregierung fordert einen Waffenstillstand in Darfur sowie freien Zugang für Hilfswerke. Beides ist im Prinzip von den Konfliktparteien in der Region beschlossen, wird aber nicht respektiert.

Ein vergessener Konflikt

Der Krieg in Darfur war im vergangenen Jahr einer der großen vergessenen Konflikte der Welt. Als die Rebellenbewegungen SLA (Sudanesische Befreiungsarmee) und JEM (Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit) Anfang 2003 den bewaffneten Kampf gegen Sudans Zentralregierung aufnahmen, wurde dies international kaum zur Kenntnis genommen. Die Kämpfe in Darfur galten als Ablenkung von den Friedensverhandlungen zwischen Sudans Regierung und den SPLA-Rebellen des Südsudan (Sudanesische Volksbefreiungsarmee), die das Ende eines 20-jährigen Krieges mit Millionen Toten versprachen.

Während Sudans Regierung mit der SPLA über Frieden sprach, konnte sie Darfurs Rebellen vernichten. Mithilfe lokaler Milizen, genannt „Janjaweed“, führte die Armee einen brutalen Feldzug gegen die Völker der Zaghawa, Massalit und Fur, die als Unterstützer der Rebellen galten. Nach Rebellenangaben wurden im Laufe des Jahres 2003 über 2.300 Dörfer zerstört, hunderttausende von Menschen wurden zu Flüchtlingen. Anfang Februar 2004 erklärte Sudans Präsident Omar al-Bashir die Rebellion in Darfur für niedergeschlagen.

Da erst setzte internationale Empörung ein. Im Jahr 2004, zum 10. Jahrestag des Genozids in Ruanda, bietet Darfur Gelegenheit, zu beteuern, dass die Welt keinen neuen Völkermord mehr zulassen werde. „Die internationale Gemeinschaft darf nicht untätig zusehen“, erklärte UN-Generalsekretär Annan mit Blick auf Darfur am 7. April anlässlich des Ruanda-Gedenkens und forderte die Welt auf, einen „militärischen Eingriff“ zu erwägen. Seitdem vergeht keine Woche, ohne dass Politiker irgendwo auf der Welt entschlossenes Handeln in Darfur fordern. Es geht nicht mehr darum, „ethnische Säuberung“ zu verhindern – die hat schon stattgefunden. Es geht nur noch um Hilfe für die Opfer.

Das bedeutet nicht, dass jetzt keine massive Hilfsaktion nötig wäre. Die ist dringender denn je. Die sechs Flüchtlingslager des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR im Tschad mit bislang 55.000 registrierten Bewohnern sind völlig unterversorgt. Ärzte ohne Grenzen berichtet aus seinem Ernährungszentrum Iriba im Tschad, die Zahl der mit schwerer Unterernährung eingelieferten Kinder liege bei 25 pro Woche – Mitte April waren es drei bis vier.

Das Hilfswerk Refugees International schätzt, dass es im Tschad nicht 110.000, sondern bis zu 200.000 Darfur-Flüchtlinge gibt. Viele leben in unwegsamen Gebieten und wären in der Regenzeit nur aus der Luft erreichbar. Derzeit arbeitet sich der tropische Regen aus dem Kongo nach Norden vor und wird im Juni Darfur und Tschad erreichen. Nach Tschad kommt nur der kleinere Teil der Vertriebenen. Wer in Darfur nicht in Grenznähe lebt oder wer völlig entkräftet ist, schafft die Wanderung nicht. Aus Darfur selbst berichten UN-Teams, die Regierung hindere ausländische Hilfswerke daran, Vertriebene zu versorgen, um sie zur Rückkehr in zerstörte Dörfer zu zwingen. „Hilfsaktionen weden weiterhin durch die Sicherheitslage behindert sowie von der Regierung des Sudan, die Visa und Reiseerlaubnisse einschränkt“, erklärte am Dienstag US-Außenministerialsprecher Richard Boucher.

Warten auf Einlass

Die Deutsche Welthungerhilfe, einzige in Darfur aktive deutsche Hilfsorganisation, meldete gestern, sie warte seit Anfang Mai auf die Erlaubnis, 100.000 Flüchtlinge um die Stadt Kutum zu versorgen. 1.100 Tonnen Nahrung könnten nicht verteilt werden. Muss Hilfe in Darfur also militärisch erzwungen werden? In Vorbereitung ist derzeit eine militärische Beobachtermission der Afrikanischen Union (AU), um den am 8. April zwischen Sudans Regierung und den Darfur-Rebellen geschlossenen Waffenstillstand – der nicht eingehalten wird – zu überwachen. Die EU soll dies finanziell unterstützen.

So etwas kann leicht weitere Schritte nach sich ziehen. Ein Jahr nach der französisch geführten EU-Intervention in Ituri, Bürgerkriegsregion im von Sudan nicht weit entfernten Nordosten der Demokratischen Republik Kongo, böte sich Darfur als Schauplatz eines neuen medienwirksamen Eingreifens an.

Aber daran denkt ernsthaft noch niemand. Zunächst geht es darum, einen Friedensprozess für Darfur in Gang zu setzen, analog dem für Südsudan. Die 2002 zwischen Sudans Regierung und SPLA-Rebellen prinzipiell beschlossene Friedensregelung für Südsudan sieht sechs Jahre Autonomie für den Süden unter SPLA-Herrschaft vor, gefolgt von einer Volksabstimmung über die Zukunft der Region. Viele Details sind noch ungeklärt, weshalb ein umfassender Friedensvertrag noch nicht unterzeichnet wurde. Aber das Autonomieversprechen für den Süden zog ähnliche Forderungen aus anderen Teilen des Sudan nach sich. So ermutigte der Südsudan-Friedensprozess auch die Rebellen in Darfur.

„Zugang zu Darfur“

Durch ihren Sieg in Darfur hat Sudans Militärregierung nun klargestellt, dass sie weitere Autonomiebestrebungen nicht dulden will. Aber die katastrophale Lage der Bevölkerung sorgt dafür, dass das Ausland sich mit der Alleinherrschaft Khartums in Darfur nicht zufrieden gibt. Die USA haben die Forderung nach „Zugang zu Darfur“ zu einem zentralen Thema ihrer Sudanpolitik gemacht, neben dem zügigen Abschluss eines Südsudan-Friedensabkommens. Ihre Haltung ist entscheidend: Sudans Regierung, die in den 90er-Jahren Ussama Bin Laden Asyl geboten hatte, steht unter US-Sanktionen; die USA unterstützen die SPLA im Südsudan und spielen auch die größte Rolle bei der Darfur-Flüchtlingshilfe. Der Tschad, einzig mögliche Basis einer Darfur-Hilfsaktion, ist enger Verbündeter der USA, seit dort US-Ölkonzerne aktiv sind; außerdem beherbergt das Land ein Truppenkontingent aus Frankreich. Dass Frankreich und die USA in Krisenregionen kooperieren können, zeigten sie im Februar in Haiti bei der Entmachtung von Präsident Aristide.

So könnte letztlich in Darfur der Tschad die Schlüsselrolle spielen. Für das Land wäre dies eine Umkehrung der Geschichte. Tschads Präsident Déby ergriff die Macht 1990 an der Spitze einer Rebellenarmee, die aus Darfur kam. Seine Kämpfer kamen aus demselben Volk der Zaghawa, das heute in Darfur rebelliert, einige von Débys früheren Mitstreitern führen heute die Darfur-Rebellen an.

Aus dem Sudan dringen nun immer öfter regierungstreue Milizen nach Tschad vor. Letzte Woche meldete Tschads Armee 60 getötete Milizionäre. Instabilität an der Grenze, Forderungen nach schneller Hilfe für Darfur: Rechtfertigungen für eine Intervention, die im UN-Sicherheitsrat Bestand hätten, gäbe es genug.