piwik no script img

Birte Müller Die schwer mehrfach normale Familie„Ficken 2000“: Achtung, explicit lyrics

Seit unsere Tochter auf der weiterführenden Schule neben Till sitzt, kommt sie mit wichtigen Fragen zu mir. Etwa: „Mama, was bedeutet Fotze?“ Man fragt sich ja immer, woher die Kinder solche Wörter kennen ­– vor allem bei Till, von dessen sympathischer, alleinerziehender Mutter man sich beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass sie Schlampe“ und Wichser sagt. Da aber auch gebildete und besorgte Eltern ihre Kinder mit der Nutzung asozialer Medien allein lassen, ist es mir doch kein Rätsel, woher die Wörter kommen.

Möglicherweise war unsere Tochter auch mal die Urheberin eines dieser schlimmen Worte. Ich erinnere mich, wie Olivia im Alter von gut zwei Jahren im Wohnzimmer einen Turm aus Holzklötzchen baute. Als er umfiel, rief sie mit hellem Kinderstimmchen „Ficken 2000“. Zum Glück verschwand das Wort „Ficken“ schnell wieder aus Olivias Wortschatz – als ihr Vater es konsequent vermied. Er begann stattdessen auf Englisch zu fluchen. Wenn mal die Zahnpaste daneben ging, hörten wir Olivia „Fuck, fuck, fuck fuck“ flöten. Dann verlegte sich mein Mann auf Spanisch. Bald sagte Olivia, wenn sie einen Schuh ausziehen musste, weil ein Steinchen drin war: „Chinga tu madre!“ („Fick deine Mutter!“). Matthias sah ein, dass er sich wohl oder übel mehr zusammenreißen musste.

Beim Übergang von der Krippe in den Kindergarten – also mit drei Jahren ­– war Olivia meines Wissens nach wieder völlig clean. Vielmehr begann sie, uns zu tadeln, wenn einer von uns Scheiße sagte. Ich muss zugeben, als mir einmal drei selbstgemachte Pizzen auf den dreckigen Boden flubberten (Belag nach unten), wäre es mir lieber gewesen, sie hätte „Fuck“ gesagt, statt: „Mama! Scheiße sagt man nicht.“

In so einem Moment wird man ja wohl mal fluchen dürfen, verdammt! Ich finde übrigens, auch ein Kind hat das Recht aufs Scheißesagen, etwa wenn es mit einem stundenlang draufgefriemelten Bügelperlen-Gebilde stolpert und der ganze Fick auf den Boden fällt. „Der ganze Fick“ soll Olivia natürlich nicht sagen. Überhaupt mag ich es eigentlich nicht, wenn inflationär geflucht wird. Außerdem gibt es Wörter, die gar nicht gehen. Und zwar nie! Dazu gehört Fotze. Ich bin mir übrigens sicher, dass die Mutter von Olivias Sitznachbarn das genauso sieht. Wenn Olivia mit Till wegen des Wortes schimpft, korrigiert er sich und ersetzt es durch „Vagina“.

Das F-Wort ist die frauenfeindlichste Beleidigung, die ich mir vorstellen kann. Wenn ich aber ganz ehrlich bin, habe ich schon mal zu einem Mann „Ey, du Pimmel“ gesagt. Das war bei einem St.-Pauli-Spiel und der Typ hatte mein frisch geholtes Bier geworfen, weil ein Tor gefallen war. Bierwerfen finde ich noch blöder als unkontrolliert fluchen. Trotzdem, das war männerfeindlich. Entschuldigung!

Und ich muss noch etwas zugeben: Wenn wir mit unserem Sohn Willi allein sind, sagen mein Mann und ich deutlich mehr unkorrekte Dinge als in Gegenwart unserer Tochter. Aber nicht, weil Willi ein Junge ist und wir es bei ihm weniger schlimm fänden, wenn er flucht. Es ist, weil er nicht sprechen kann, und es deswegen auch nicht wiederholen könnte.

Ganz stimmt das übrigens nicht. Willi hat einen Sprechcomputer und mit dem hätte er durchaus die Möglichkeit zu fluchen. Es gibt eine ganze Seite mit Schimpfwörtern (wenn auch nicht grad Fotze oder Ficken). Seine frühere Lehrerin wollte einmal, dass ich die Ebene lösche. Aber wie gesagt, ich finde, jeder hat das Recht, mal zu fluchen – auch Menschen mit Behinderung.

Birte Müller

45, ist Bilderbuchillustratorin, Autorin und Mutter zweier Kinder: Willi

(12) mit Downsyndrom

und Olivia (10) mit Normalsyndrom. Mehr Informationen auf www.illuland.de

Aus Olivias Schule habe ich dagegen neulich etwas ziemlich Lustiges gehört. Es wurde dort ein standardisierter Test durchgeführt zur allgemeinen Lernstandermittlung. Die Kinder sollten laut Angabe der Lehrer nicht ihren Namen draufschreiben, nur ihr Geschlecht.

Daraufhin sicherte Olivia sich einen amtlichen Lacher mit der Frage: „Sollen wir dann also Scheide oder Penis draufschreiben?“. Ich fand es schön, dass Till ihr daraufhin zuflüsterte: „Wenn schon, dann Vagina, bitte sehr!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen