Birte Müller Die schwer mehrfach normale Familie: Mach’s selber, Mama!
Es ist gar nicht lange her, dass ich den Erstkontakt mit einem – mir damals vollends unbekannten – Anglizismus machte. Eine andere Mutter zeigte auf meine Tasche und quietschte: „So sweet!“, das verstand ich noch – aber bei „Hast du die gedi-ei-weiht?“, da musste ich passen. Di-ei-wei? Nach einer längeren Erklärung erfuhr ich, dass bei den Hipstern – ein Ausdruck, dessen Bedeutung ich ebenfalls noch nicht lange kenne – das Wort Basteln durch das Kürzel DIY ersetzt worden ist, was für „Do it yourself“ steht, also englisch für : „Mach’s selber“.DIY also. Kurz darauf begegneten mir diese drei Buchstaben in so inflationärer Form, dass ich mich sehr wunderte, warum ich mich nicht schon vorher sehr gewundert habe, was das eigentlich bedeutet.
Zumal: Selber machen ist ja voll mein Ding. Seit ich denken kann, habe ich einen amtlichen Bastelzwang, den ich glücklicherweise auch an meine Tochter vererbt habe. Das Bastel-Gen ist bis jetzt wenig erforscht, aber ich bin ziemlich sicher, dass es nicht auf dem 21. Chromosom sitzt, welches mein Sohn ja gleich dreimal hat: Der nämlich hasst Basteln.
Ich habe versucht herauszufinden, warum man überhaupt einen neuen Ausdruck für „Basteln“ brauchte. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass „Basteln“ einfach zu unsexy klingt. Zwar dürfen Kinder noch unsexy sein, aber wir Muttis wollen uns vom verstaubten Image der Hausfrauen-Beschäftigungstherapie lösen – und DIYen. Aber auch Männer DIYen!
So beknackt ich den Ausdruck DIY auch finde – besonders, wenn man ihn auch noch konjugiert wie ein deutsches Verb: Wenigstens scheint er mir deutlich genderneutraler als „heimwerken“ (irgendwie immer männlich) oder „handarbeiten“ (irgendwie immer weiblich). Doch wie so oft: Vielleicht ist das neue Wort ganz hübsch, aber ein häkelnder Mann wird heute noch in dieselbe Schublade gesteckt wie in den 80ern.
Birte Müller, 45, ist Bilder-buchillustratorin, Autorin und Mutter zweier Kinder: Willi (12) mit Downsyndrom und Olivia (10) mit Normalsyndrom. Mehr Informationen auf www.illuland.de.
Aber warum musste es unbedingt schon wieder ein Anglizismus sein? Und dann auch noch eine Abkürzung?! „Mach es selber“: Das klingt doch toll und geht hinaus über die bloße Tätigkeit, das Basteln. Es ist eine Lebenseinstellung. Bei Wikipedia habe ich gelesen, dass DIY ursprünglich sogar so etwas wie eine Anarcho-Bewegung gewesen ist: Schreddel-Punk, Antikonsum und, eben, Selbstorganisation.
Davon ist aber bei dem ganzen Youtube-DIY so gar nichts übriggeblieben. Warum müssen sich heute eigentlich alle Leute bei allem filmen und das auch noch allen zeigen? Und das Schlimmste: Das da Gezeigte ist komplett realitätsfern. Es geht gern darum, was man aus ollen Klamotten alles tolles Neues und besonders Nachhaltiges machen kann – zum Beispiel einen total stylo Badezimmerteppich! Eindeutig sind aber für den dann gezeigten Teppich und die Anleitung lauter neue T-Shirts zerschnippelt worden, denn wer hat schon jeweils fünf Shirts in den vier selben, super zusammenpassenden Farben, die alle ganz neu aussehen und angeblich gleichzeitig ein Loch haben? Die Sache kommt daher wie Recycling – heißt hier aber „Upcycling“ – und besteht am Ende aus 20 Billig-China-Klamotten vom Discounter.
Ich lasse meine Tochter auf jeden Fall keine dieser „Alles ganz easy in zwei Minuten selbst gemacht“-Hochglanz-Filmchen mehr sehen. Ich habe keinen Bock auf die Wutanfälle, weil man nicht gleich das ganze teure Material zur Hand hat, alles auch viel länger dauert – und es am Ende in den Augen Olivias ohnehin „scheiße“ aussieht; also nicht wie im Fernsehen.
Wir betreiben stattdessen schon seit einigen Jahren so eine Art Messi-Werkeln. Das sieht so aus: Olivia schleppt gefundenen Krams an, Steine, Stöcke, Federn, verrostete oder glänzende Metallteile, Plastikzeugs, Verpackungen. Ich bewahre das alles auf – wenigstens bis zu einer gewissen Größe und Menge. Dann warte ich auf eine Idee, die zu unserem Geraffel passt, probiere und googele reichlich herum und frage im Zweifel Opa Horst, der schon mit jedem erdenklichen Werkstoff gearbeitet hat. Er leiht uns auch immer umgehend sein Werkzeug.
So entsteht ein ganz spezielles Bastelvorhaben zur Verwertung unseres Gedönses, möglichst bevor mein armer, ordnungsliebender Mann auszieht. Wenn’s dann losgeht, verwirft Olivia in der Regel meinen ausgetüftelten Plan und macht etwas völlig anderes aus dem Zeug. Sie lebt tatsächlich den subversiven Punk-Befreiungsansatz von DIY und sagt zu mir: „Wenn du’s anders willst, Mama – mach’s selbst!
Das mache ich dann auch: Wenn beide Kinder schlafen, bastle ich endlich in Ruhe, und zwar so wie ich will! Dass ich dann vielleicht nicht sexy DIYe ist egal: Bei dem Chaos, was ich dabei verbreite, geht mein Mann ohnehin lieber früh ins Bett.
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