■ Birgit Hogefeld droht, vier Jahre nach dem letzten RAF- Mord, vor dem Oberlandesgericht Frankfurt lebenslänglich: Wie Feinde in einem dauernden Krieg
Der Ankläger überraschte allenfalls durch seine Ausdauer. Über drei Verhandlungstage begründete Bundesanwalt Walter Hemberger die Höchststrafe, die er schließlich auch forderte. Wegen vierfachen Mordes und zehnfachen Mordversuchs soll die frühere RAF-Aktivistin Birgit Hogefeld lebenslang hinter Gitter. Bereits im Januar, ein halbes Jahr vor dem Ende der Beweisaufnahme, hatte Hemberger ihr ins Gesicht geblafft: „Ich bin überzeugt, daß Sie an allen Taten, die hier angeklagt sind, beteiligt waren!“ Der Senat und sein Vorsitzender Erich Schieferstein ließen den Ausbruch ungerügt. Seither geht es offenbar nur noch darum, ob alle weiteren Prozeßtage dazu dienen sollten, ein feststehendes Urteil „revisionsfest“ zu machen.
Ende Juni 1993 war Birgit Hogefeld am Bad Kleinener Bahnhof verhaftet worden. Bei der Antiterroraktion starben der GSG-9-Beamte Michael Newrzella und Hogefelds Lebenspartner Wolfgang Grams. Die Bundesanwaltschaft, als federführende Behörde mitverantwortlich für das Desaster, verwandelte die blutige Episode in eine Mordanklage gegen Hogefeld. Kaum überraschend war deshalb, daß sich die Prozeßparteien wie Feinde in einem unbeendeten Krieg gegenübersaßen.
Die Anklage gegen Hogefeld stützt sich auf zwei Kategorien von Vorwürfen: Solche, die so gut wie bewiesen sind, aber keine lebenslange Strafe rechtfertigen. Dazu gehören die von der Angeklagten nie bestrittene Mitgliedschaft in der „Roten Armee Fraktion“ und ihre Beteiligung am Anschlag auf den Gefängnisneubau von Weiterstadt im März 1993. Und solche, deren Plausibilität auch nach dem Plädoyer der Anklage zweifelhaft bleiben, die aber im Falle einer Verurteilung zwangsläufig in eine lebenslängliche Strafe münden. Konkret sind das der Mordvorwurf im Zusammenhang mit dem Tod des GSG-9-Beamten und Hogefelds angebliche Mitverantwortung an der Ermordung des Soldaten Edward Pimental und den nachfolgenden Anschlag auf der US-Airbase in Frankfurt, bei dem 1985 zwei Menschen starben.
Vermutlich neun Jahre war Birgit Hogefeld RAF-Mitglied: Während dieser Zeit starben bei sechs Anschlägen der Gruppe neun Menschen. Nur schwer vorstellbar ist, daß die Angeklagte an keinem dieser Attentate direkt oder unterstützend beteiligt war. Aber Wahrscheinlichkeiten sind keine Grundlage eines Gerichtsurteils. Wer daran rührt, rüttelt an den Grundfesten des Rechtssystems.
Eine unklare Indizienlage stellt jedes Gericht vor eine dramatische Entscheidung – und erweitert zugleich seinen Ermessensspielraum. In dubio pro reo, der fundamentale Rechtsgrundsatz muß auch für ein früheres RAF-Mitglied gelten. Neben dieser Selbstverständlichkeit haben die Frankfurter Richter – und hätten die Bundesanwälte – im Falle dieser Beschuldigten weitere Fragen zu stellen und zu beantworten. Zum Beispiel diese: Ist es für das Strafmaß unerheblich, ob die Angeklagte als Mitglied einer Untergrundgruppe verhaftet wurde, oder ob sie sich längst eines Besseren besonnen hat?
Hogefeld, das räumt auch die Bundesanwaltschaft ein, gehörte im April 1992 zu den Autoren jener „Deeskalationserklärung“, mit der die RAF ihre Attentate einstellte. Das war – 22 Jahre nach der Baader-Befreiung – eine, wie auch manche aus dem Staatsschutzapparat meinen, historische Leistung. Ihre Einlassungen während der Verhandlung, die den Anklagevertreter Hemberger stets in Aufregung versetzten, begriff die linksradikale Szene ganz anders, nämlich als Appelle gegen weitere tödliche Anschläge. Was hätte Birgit Hogefeld sonst tun können? Hätte sie gestanden, gar ihre früheren Genossen belastet, wären diese Aufrufe gerade bei jenen ohne Widerhall geblieben, an die sie sich vor allem richteten.
Juristische Puristen mögen dem entgegenhalten, das dies nicht justitiabel sei. Aber darf es deshalb auch keine Rolle spielen, angesichts einer Beweislage, in der jedes Urteil auf schwankendem Grund steht? Wenn das Gericht auf lebenslänglich erkennt, dann gewiß nicht, weil anderes nicht möglich gewesen wäre. Birgit Hogefelds Problem in diesem Verfahren war, daß sie zwar „Fehler“ eingestand, aber sich beständig weigerte, die Konsequenzen zu thematisieren. Diese Fehler haben Menschen das Leben gekostet. Deshalb konnte sich ihr Ankläger genußvoll-moralisierend über die Angeklagte erheben und ihre „niedrigen Beweggründe“ geißeln. Hogefelds Pech war, daß sie auf eine Anklagevertretung stieß, die in Sachen RAF alles andere als eine abgeklärt agierende Behörde repräsentierte.
Schon vor Beginn der Hauptverhandlung enthüllte die Bundesanwaltschaft verräterischen Ehrgeiz. Im Februar 1994 hatte der Bundesgerichtshof den Haftbefehl gegen Birgit Hogefeld erweitert. Erstmals wurde ihr ein Mord zur Last gelegt – der an dem GSG-9- Beamten in Bad Kleinen. Die Öffentlichkeit, keineswegs nur die linke, reagierte verstört, weil alle Welt wußte, daß die Angeklagte schon gefesselt in der Unterführung gelegen hatte, als oben auf dem Bahnsteig der erste Schuß fiel. In dieser Situation entschloß sich die Bundesanwaltschaft quasi aus dem Nichts, Hogefeld zusätzlich wegen des Airbaseanschlags und des Pimental-Mords unter Anklage zu stellen – neun Jahre nach der Tat und nur Wochen, nachdem dieser Vorwurf in dem erweiterten Haftbefehl keine Erwähnung gefunden hatte.
Die Frage muß erlaubt sein, ob die Bundesanwaltschaft im Verfahren gegen Birgit Hogefeld noch gegen den Terrorismus zu Felde zieht oder gegen das eigene Versagerimage; ob das Eigeninteresse des Apparats heimlich die Oberhand gewinnt über das Ziel der Sachaufklärung. Es ist ja nicht zu bestreiten: Keiner der Anschläge der RAF seit 1985 ist aufgeklärt.
Wenn der Apparat dieses Manko nun mit der Brechstange zu beheben versucht, ist die Politik gefordert. Doch die schaut desinteressiert zu. In Bonn döst ein Justizminister vor sich hin, der noch nicht realisiert hat, daß der Staat zwar den Kampf gegen die RAF gewonnen hat, ihre „Abwicklung“ aber eine Aufgabe der Politik bleibt, nicht nur des in die Vergangenheit verstrickten Apparats. Gerd Rosenkranz
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