Biomarkt ersetzt Kino: Ende mit Heimatfilm
Jetzt ist der Roxy-Palast dran: Aus dem einstigen 20er-Jahre-Kino und Ort des La-Belle-Attentats wird ein weiterer Supermarkt - mit Biokost und Vitamin-Bomben.
Es gibt Dinge, die ändern sich wohl nie. Dazu gehört, dass aussortierte Kinos noch immer der ideale Standort für Supermarktketten oder Modestores zu sein scheinen. Weite Flächen und gute Innenstadtlagen, für die Filmtheater charakteristisch, gelten seit den 1960er Jahren als beste Voraussetzungen für besagte Umnutzer. Zuletzt mussten in Berlin das Tivoli, der Royal-Palast, das Astor, die Hollywood-Kinos oder Der Spiegel für einen Lidl, Biodiscounter, H&M oder Elektromärkte herhalten.
Der ehemalige Roxy-Palast geht nun ebenfalls den unsäglichen Weg von der Kino- zur Naturkostkultur. Im Juni eröffnet Europas größte Biosupermarktkette in der Friedenauer Hauptstraße ihre sechste Filiale in Berlin. Naturreines Obst, Gemüse, Brot, Milchprodukte, 250 Sorten Weine, Tiefgefrorenes oder "Convenience Food" flimmert dann in Regalen vor den Augen der Besucher. Als letzter Streifen im Roxy soll, bezeichnenderweise, ein Heimatfilm gelaufen sein.
Das alles wäre kaum der Rede wert, ginge Berlin mit dieser Umnutzung nicht nur ein Stück Kinoarchitekturgeschichte verloren. Auch ein wichtiges politisches Ereignis an dieser Stelle der Stadt droht überformt zu werden.
Am 5. April 1986 wurde auf die Diskothek "La Belle", die sich im Mitte der 70er Jahre geschlossenen Roxy-Palast befand, ein Attentat verübt. In der hauptsächlich von amerikanischen GIs besuchten Disko explodierte eine Bombe, drei Menschen starben, 28 US-Soldaten trugen schwere Verletzungen davon, der Hälfte der rund 500 Anwesenden zerriss der Luftdruck das Trommelfell.
Bereits Tage später wurde von der US-Regierung der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi als Drahtzieher des Anschlags ausgemacht. US-Jets beschossen am 15. April 1986 die libysche Hauptstadt Tripolis. Das Attentat, ermittelten deutsche und US-Nachrichtendienste, soll das libysche Volksbüro in Ostberlin organisiert haben. Nach der Verurteilung von vier Angeklagten Ende der 1990er Jahre bestätigte der Bundesgerichtshof die politische Dimension. Was richtig war: 2003 willigte Libyen ein, mit 35 Millionen US-Dollar die Opfer zu entschädigen.
Während der letzte Mieter, ein Teppichhaus, noch etliches vom Interieur des alten Roxy erhielt, hat der Supermarkt aufgeräumt. Was schade ist, denn: Das 1929 eröffnete Rangkino des jüdischen Architekten Martin Punitzer (1889 bis 1949) mit seinen über 1.100 Plätzen war ein Hauptwerk der Neuen Sachlichkeit.
Punitzer hatte das "Lichtspielhaus" quer in einen viergeschossigen modernen Bürobau gesteckt. Das geschickt angeordnete Kino wurde von der Straße her durch ein breites Foyer erschlossen, Treppenanlagen führten hinauf zu den Emporen. Die Magie wurde inszeniert. Die Straßenfassade gliederte der Architekt mit hellen Fensterbändern. Das Erdgeschoss wurde verglast, über dem Kinoportal mit seinen schnittigen Metallrahmen erhob sich eine Reklame-Glasfläche, die in den vergangenen Jahren wiederhergestellt wurde.
Zum 15. Jahrestag des La-Belle-Anschlags, im April 2011, haben Politiker an den Ort und die Tat erinnert. Ob das Kino und die Geschichte auch Nachhaltigkeit im Bioladen beweisen können, muss sich zeigen.
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