Biografie über Stephen Bannon: Der Prinz der Finsternis
Tilman Jens erzählt in „Stephen Bannon. Trumps dunkler Einflüsterer“ eine Realfantasy. Er zeigt den Prototyp eines zeitgemäßen faschistischen Politikers.
Nach dem rechtsradikalen, tödlichen Terroranschlag von Charlottesville hat Präsident Donald Trump seinen Berater Stephen Bannon massiv verteidigt – dieser sei sein Freund und kein Rassist. Wer also ist Stephen Bannon? Muss man sich gruseln?
Ein Zufall kann es nicht sein, dass die vorläufige deutsche Biografie einer der beunruhigendsten Gestalten gegenwärtiger Weltpolitik ausgerechnet im Heyne Verlag erscheint, einem Verlag, der ansonsten für die Publikation zeithistorischer Serienromane im Stil von Jeffrey Archer, Gänsehaut bewirkender Gruselromane von Stephen King und düsterer Science-Fiction-Storys bekannt ist.
In diesem Sommer nun publiziert der Verlag ein politisches Realgrusical aus der Feder von Tilman Jens, einem Sachbuchautor und Filmemacher, der sich schon mit Mark Twain sowie – zur Empörung und Neugier eines großen Publikums – mit der Demenz seiner Vaters, des Tübinger Literaturwissenschaftlers Walter Jens, und mit Helmut Kohl befasst hat.
Seine neueste Publikation gilt einer der unheimlichsten Gestalten des frühen 21. Jahrhunderts, dem Wahlkampfmanager und ehemaligen Sicherheitsberater Donald Trumps, dem Autor und Filmproduzenten Stephen Bannon. Zwar hat Trump auf Drängen anderer Militärs und Politiker Bannon aus seinem Sicherheitskabinett entfernt, indes: Jens kann plausibel darlegen, dass dies nur eine Finte ist.
Voller widerwilliger Bewunderung schreibt er im Vorwort: „Ein bei der Navy getrimmter Krieger von Bannons Kaliber gibt so schnell nicht auf. Der bleibt auf dem Posten und erscheint manchem stärker denn je: Totgesagte leben länger.“
Kein Zweifel – auf seine Weise ist der linksliberale Autor von dieser Gestalt fasziniert, gebannt und gefesselt. So erscheint er auf dem Titel als „Trumps dunkler Einflüsterer“ und schon in der Überschrift des ersten Kapitels als „Terrorist im Weißen Haus“. Wie wurde dieser Mann, der sich selbst als „Leninist“ bezeichnet, weil er den Staat zerstören will, der tatsächlich sagte: „Ich will das System krachend kollabieren lassen und das ganze Establishment gleich mit“ –, wie wurde dieser Mann zu dem, was er heute ist?
1953 als Sohn eines katholischen Arbeiters, eines Kabelverlegers im Süden der Staaten, in Richmond geboren, wurde Stephen schnell ein vorzüglicher, disziplinierter Schüler, der nicht nur ein guter Sportler war, sondern vor allem zu einem unermüdlichen Leser wurde und als junger Student als „liberal“ – in den USA die Umschreibung für „links“ – galt. Als Betreiber einer universitären Radiostation verfasste der bildungshungrige Student 1975 einen ausführlichen Nachruf britischen Universalgelehrten und Geschichtsdenker Arnold J. Toynbee.
1977 dann – als Offiziersanwärter bei der U.S. Navy – bleibt er sechs Jahre lang an Bord, wird Navigator und macht die exakte Berechnung von allem und jedem zu seinem Glaubensbekenntnis. Die Erfahrung von Präsident Jimmy Carters misslungenen Versuchen, US-amerikanische Geiseln aus dem Iran zu befreien, machte den jungen Liberalen zu einem glühenden Anhänger der Republikaner, der nach einem kurzen Schreibtischjob im Pentagon für weitere zwei Jahre an der Eliteuniversität Harvard studiert.
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
1984 beeindruckt er einen Manager von Goldman Sachs und erlebt den Umgang mit Geld, um in Hollywood japanische Anleger zu beraten und 1990 sein eigenes Unternehmen zu starten. Bald fängt er an, Filmexposés zu verfassen und sich als Manager in einem im weitesten Sinne ökologischen Projekt in der Wüste Arizonas zu versuchen.
Schläge für die Ehefrau
Freilich fällt er bald wegen Misshandlung seiner zweiten Frau polizeilich auf. Er habe die Mutter seiner kleinen Zwillingstöchter gewürgt und als „Crazy fucking cunt“ beschimpft. Dass die Mädchen später auf eine bestimmte Schule gehen, wollte Bannon nicht, weil dort zu viele Juden mit ihrer Weinerlichkeit seien. Als Drehbuchschreiber versucht er sich an Remakes von Stoffen Shakespeares, dreht einen Dokumentarfilm über John Kerry und – er ist nun über fünfzig – Kriegsfilme sowie ein Heldenepos über Ronald Reagan und dessen apokalyptischen Kampf gegen die Sowjetunion.
Alle politischen Themen jener Jahre – von Mordfällen an der mexikanischen Grenze bis zur Bankenkrise – finden Ausdruck in agitatorischen Filmen, die fast immer die „Counter Culture“ der späten 1960er Jahre sowie die angeblich verantwortungslosen Eliten als Ursachen des amerikanischen Niedergangs benennen. Dass Bannon nebenher noch die Breitbart News, Produkt des früh verstorbenen, zwischen links und rechts schwankenden Andrew Breitbart übernimmt, rundet das Bild ebenso ab wie der Umstand, dass er die erzkonservative Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, unterstützt.
Der neue US-amerikanische Rechtsradikalismus ist geschickt: 2015 erinnert Breitbart News an Margret Sanger, eine der ersten Feministinnen, die sich in den stark christlichen USA für „Planned Parenthood“ einsetzte und von Martin Luther King unterstützt wurde. Sie wird von Bannon und seinen Medien triumphierend dem Rechtsextremismus zugerechnet. Nicht völlig zu Unrecht, denn: Wie die Myrdals in Schweden setzte sich Margret Sanger für Eugenik, die Zwangssterilisation von Syphilitikern, Bettlern, Drogenabhängigen und Prostituierten ein. Sozialhistorikerinnen streiten bis heute darüber, ob es ihr nicht letztlich darum ging, den schwarzen Bevölkerungsanteil zu verkleinern.
Antisemitismus, Rassismus und Homophobie
Ohnehin – das ist bei der AfD nicht anders – propagiert die Neue Rechte von heute eine eigentümliche Mischung von Antisemitismus, Rassismus und Homophobie hier sowie „Israelfreundschaft“ und einem weißen, frauenhassenden, männerbündischen Schwulenkult – etwa in Gestalt des Milo Yiannopoulos – dort. So publizierte der von Bannons Breitbart propagierte Yiannopoulos seinen Vortrag „10 Dinge, die Milo am Islam hasst“, um dann pädophiler Bekenntnisse wegen seinen Hut zu nehmen.
Spätestens 2015 polemisiert Breitbart News unflätig gegen Hillary Clinton, bald finden Bannon und Trump zusammen. Im Weißen Haus angekommen, resümiert Jens, durfte Bannon jenen Krieg führen, den er schon seit Langem geplant hatte: „Gegen die Fremden, gegen die Juden, gegen Millionen von bislang noch Krankenversicherten, gegen die Liberalen, gegen Frauen, die es nicht an den heimischen Herd zieht. Gegen die Medien, die Nato, die Vereinten Nationen, gegen die Regenwälder, die unabhängige Justiz, die Zivilgesellschaft und natürlich gegen die alten Eliten.“
Julius Evola zitieren
Ein Faschist? Allerdings! Diese Pointe hat sich der sonst umfassend informierte Tilman Jens jedoch entgehen lassen: 2014, lange vor Trumps Wahl, nahm Bannon an einer Konferenz im Vatikan teil, bei der es auch um Islamismus und Kapitalismus ging. Bei dieser Gelegenheit zitierte Bannon den bis heute noch zu unbekannten Philosophen Julius Evola (1898–1974), der den Niedergang der Antike durch das Christentum kritisierte und einen politischen Neuanfang Europas im Geiste des indischen Kastenwesens, wie er es verstand, forderte.
Rechtsgerichtete Studenten der neofaschistischen Partei verehrten Evola in den 1960er Jahren als einen „Marcuse von rechts“. Die rechtsradikale Alt-Right-Bewegung, der Bannon ebenfalls nahesteht, verehrt Evola, den Hausphilosophen der griechischen Nationalsozialisten der „Goldenen Morgenröte“, gleichermaßen.
Tilman Jens: „Stephen Bannon. Trumps dunkler Einflüsterer“. Heyne Verlag, München 2017, 191 Seiten, 15 Euro
Ob Bannon wirklich der geheime, eigentliche Machthaber in den gegenwärtigen USA oder nur der „dunkle Einflüsterer“ Trumps ist, sei dahingestellt. Doch dass er wie kein anderer – von Le Pen bis Höcke oder Gauland – den Prototyp eines zeitgemäßen faschistischen Politikers mit erheblicher rhetorischer Ausstrahlung darstellt, unterliegt keinem Zweifel. Dass er ein mehr oder minder belesener Intellektueller ist, widerspricht dem nicht: Auch Adolf Hitler war nicht nur ein verrückter, in den Teppich beißender Schreihals, sondern ein belesener, an den Künsten interessierter Liebhaber der Kultur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“