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Biografie über Friedrich EngelsDer Prügelknabe

Der Historiker Tristram Hunt lässt in der Friedrich-Engels-Biografie Dokumente und Briefe für sich sprechen – und es gelingt ihm, dem kommunistischen Revolutionär gerecht zu werden.

Friedrich Engels (stehend), besänftigte die Launen von Karl Marx (sitzend). Bild: Imago/Schöning

Von einer Biografie über Friedrich Engels, dessen Nachlass beinahe vollständig publiziert wurde einschließlich der Briefe und über den es tonnenweise Zeugnisse und Erinnerungen gibt, kann man keine neuen Aspekte erwarten, keinen Engels, der plötzlich in völlig anderem Licht erscheint. Man kann ihn nur verschieden interpretieren, wie das früher getan wurde, als aus der Idee des Kommunismus eine Lehre geworden war und Engels zum Oberlehrer ernannt wurde.

Inzwischen haben die meisten kommunistischen Regime, in denen Engels als einer der Religionsgründer galt, ihren Geist aufgegeben. Das Klima ist nun ein anderes, und vielleicht wurde es dadurch möglich, sich ihm entspannter zu nähern, so wie das der englische Historiker Tristram Hunt in seiner Biografie tut.

Hunt lässt vor allem die Dokumente und Briefe für sich sprechen, er hat sich also einer großen Fleißarbeit unterzogen, denn die Fülle des Materials von und über Engels ist gewaltig. Diese Aufgabe hat Tristram Hunt glänzend gemeistert, er hat in seinem vergnüglich zu lesenden und stellenweise packenden Buch die biografischen Elemente und den theoretischen Engels ins richtige Verhältnis gesetzt und den Einfluss beschrieben, den die Anfänge des Kapitalismus auf Engels’ Leben und Werk hatten.

Weit davon entfernt, die Biografie mit romanhaften Accessoires auszustatten, wie das häufig der Fall ist, wenn Historiker so tun, als hätten sie Gespräche belauscht und könnten sie wörtlich wiedergeben, steht Hunt in der besten angelsächsischen Tradition, eine gründlich recherchierte Biografie so zu präsentieren, dass man sie mit großem Erkenntnisgewinn lesen kann. Nach Marx, über den Francis Wheen 1999 eine exzellente Biografie geschrieben hat, hat nun auch Engels mit Tristram Hunt einen Biografen gefunden, der keinen ideologischen Blick auf ihn wirft und dem es gelungen ist, Engels gerecht zu werden.

Ohne ideologische Scheuklappen

Heute spricht kaum mehr jemand von Engels, weil man ihn „als Mann des Apparats und wissenschaftsgläubig abtat“. Er wurde zum „Prügelknaben“, dem man die Sünden des Marxismus aufbürdete, aber auch wenn die Schriften von Engels nicht die Bedeutung haben mögen wie die von Marx, so erwies sich Engels als ein Mann mit außergewöhnlicher Bildung, der sich ohne ideologische Scheuklappen mit allen Wissenschaften auseinandersetzte, die im 19. Jahrhundert Furore machten.

Noch bemerkenswerter war, dass Engels mit gesellschaftlichen Konventionen nicht viel am Hut hatte und bereits in seinem Alltag nach den kommunistischen Prinzipien lebte, die ihm vorschwebten, und gleichzeitig den Freuden des Kapitalismus durchaus einiges abgewinnen konnte. Er nahm an Fuchsjagden der High Society teil, war Textilfabrikant und Mitglied der Börse von Manchester und gleichzeitig ein „draufgängerischer, lebensfroher, dem Alkohol zugeneigter Liebhaber der schönen Dinge im Leben: Hummersalat, Château Margaux, Pilsner und kostspielige Frauen.“

Daneben unterstützte er aber auch seit vierzig Jahren Karl Marx, kümmerte sich um dessen Kinder, besänftigte seine Launen und war Mitautor des „Kommunistischen Manifests“. Nicht schlecht für ein Leben, das in einer wohlhabenden preußisch-kalvinistischen Kaufmannsfamilie begann. Aber in diesen Zeiten des Umbruchs und großer gesellschaftlicher Veränderungen in Europa ist es einfacher, ein außergewöhnliches Leben zu führen als in Zeiten des Stillstands.

Bild: taz

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Die Julirevolution 1830 in Frankreich war eines der Anzeichen der Unruhe, die auch ins rheinländische Barmen strahlte, wo Engels aufwuchs. Diese Revolution stand für den Sturz eines antiquierten Autoritarismus, für einen Fortschritt und Freiheit verheißenden Patriotismus.

Lärm und Emanzen

Als Engels Anfang der vierziger Jahre nach Berlin kam, um seine für ihn vorgesehene Militärausbildung zu absolvieren, hatten nach einer turbulenten Geschichte, in der Napoleon durchs Brandenburger Tor gezogen war, die reaktionären Kräfte wieder Oberwasser. Aber es existierte auch eine Salonkultur im Berlin, wo es über hundert Kaffeehäuser und Trinkhallen „voller Besserwisser“ (Heinrich Heine) gab, die idealen Orte für „übereifrige und unterbeschäftigte Akademiker“, um den politischen und literarischen Diskurs zu pflegen.

Hegels Geist lag noch in der Luft, aber 1840 hatte mit Friedrich Wilhelm IV. „die orthodoxe Frömmelei und die feudal-absolutistische Reaktion den Thron bestiegen“, wie Engels schrieb, der mit den „Freien“ Bruno Bauer, Max Stirner, Arnold Ruge und anderen „aggressiven, arroganten Intellektuellen“ und „Bierliteraten“ ostentativ seiner Verachtung für „moderne Moral, Religion und bürgerlichen Anstand“ Ausdruck verlieh. „Lärmende Persönlichkeiten“, die „durch ihren offenen Umgang mit emanzipierten Weibern die Blicke auf sich zogen“, wie Stephan Born schrieb.

So kündigen sich alle großen Ideen und Ereignisse an. Aber bis diese dann sichtbar wurden, war es noch ein weiter Weg. Im November 1842 traf Engels zum ersten Mal Marx in der Redaktion der Rheinischen Zeitung; ein „sehr kühles Zusammentreffen“, da Engels mit den Bauer-Brüdern verkehrte, deren „Phrasen-Kommunismus“ Marx verurteilte. Während in Frankreich Fourier und Saint-Simon von sich reden machten und Blanqui den Aufstand probte, verbrachten die beiden neuen Freunde in Bonn und Berlin die Nächte mit Alkohol und Diskussionen über Hegel, bis sie ihn dann endlich vom Kopf auf die Füße gestellt hatten.

Die beiden mussten in den auf sie zukommenden Wirren von 1848 noch viele „Abenteuer“ bestehen, nahmen an vergeblichen Scharmützeln gegen die Reaktion teil, wurden in Deutschland, Frankreich und Belgien des Landes verwiesen, bis sie in England strandeten. Das war ein ähnlicher Glücksfall für die Theorie wie später das Exil von Horkheimer und Adorno in den USA, als ihre Schrift „Die Dialektik der Aufklärung“ entstand, die nur dort entstehen konnte.

Der hässliche Kapitalismus

Engels, der aus finanziellen Gründen zähneknirschend in der Fabrik seines Vaters in Manchester arbeiten musste, befand sich an einem Ort, in dem sich der Kapitalismus von seiner hässlichsten und rücksichtslosesten Seite zeigte. Dort ließ sich studieren, was auf den Rest der Welt noch zukommen würde. Engels schrieb mit „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ einen der wichtigsten und einflussreichsten Grundlagen- und Propagandatexte zum Verständnis dafür, dass nur der Kommunismus eine Lösung für die sozialen Gegensätze sein konnte.

Engels verfügte, dass nach seinem Tod seine Asche auf dem Meer verstreut werden sollte. Er hat damit eine Form des Verschwindens gewählt, die deutlich macht, dass er auf eine Kanonisierung keinen Wert gelegt hat. Für die Vereinnahmung durch die kommunistischen Regime auf der ganzen Welt und noch weniger für die Verbrechen, die diese begangen haben, konnte er nichts, wie Tristram Hunt in seinem Schlusskapitel begründet. Wenn man das Buch gelesen hat, erscheinen die Argumente dafür fast ein wenig überflüssig.

„Friedrich Engels. Der Mann, der den Kommunismus erfand“. Aus dem Englischen von K.-D. Schmidt. Propyläen Verlag, Berlin 2012, 576 Seiten, 24,99 Euro

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2 Kommentare

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  • W
    Waage

    wie, kein Mensch interessiert sich für Engels und das "lange" (wilde) 19. Jhd.?

     

    Ich hab den Schinken schon durch, war super!!!

  • W
    Waage

    Hört sich sehr vielversprechend an - endlich mal wieder ein schöner Geschichtsschmöker!