Bioessen aus der Tiefkühltruhe: Die eiskalten Bio-Pioniere
Fertigpizza aus der Kühltruhe in Bioqualität - das war vor 15 Jahren Verbrauchern und Händlern kaum zu verkaufen. Der Großhändler Ökofrost hat es mit viel Überzeugungsarbeit trotzdem geschafft
Ein Wilmersdorfer Altbau, südlich des Kudamms, Hochparterre. Die Eingangstür surrt leise beim Öffnen, die Sekretärin steht in der Wohnungstür. Drinnen ein blaues Sofa, gleichfarbige Sessel um einen Couchtisch. Schokoröllchen in einer Schale, zur Pyramide geschichtet. Keine Frage: Die Öko-Unternehmer Florian Gerull und Boris Czizikowski sind in der Bürgerlichkeit angekommen.
Das ist an und für sich nichts Besonderes: Seit Joschka Fischer haben viele, die in ihrer Jugend aufbegehrten, sich in Anpassung ans System geübt. Nur: Gerull und Czizikowski haben ihre Ideale nicht vergraben. Sie haben ihre Überzeugung, dass biologische Lebensmittel die besseren sind, zum Geschäftsmodell gemacht. Und gewartet, dass die Welt um sie herum nachzieht. Nun ist der Berliner Bio-Tiefkühlhändler Ökofrost 15 Jahre alt geworden. Er war einer der Pioniere auf dem Markt - heute finden sich seine Produkte in der Kühltruhe jedes Bio-Supermarkts. Bundesweit.
Rückblende: Im Jahr 1996 steckt Bio tief in der Nische. Gut zwei Dutzend Lädchen gibt es in Berlin, sie leben häufig vom Idealismus ihrer Betreiber. Wer dort einkauft, gilt als Freak. "Meine Familie hatte einen Naturkostladen in Spandau, bei uns wurde vegetarisch gegessen", sagt Gerull. "Das war etwas Besonderes damals." Sein Geschäftspartner erinnert sich an die erste Vollkornpizza, die er zu dieser Zeit gekauft hat: "Das war in Lüchow-Dannenberg, richtig grausig hat die geschmeckt."
Gerull und Czizikowski verdingen sich zu der Zeit als Veranstaltungsmanager, ihr Studium haben sie abgebrochen. Ein Amerikaner, der in Berlin einen Bioladen betreibt, will importiertes Sojaeis verkaufen und beauftragt das Duo mit Marketing und Verkostungsaktionen. Wenig später übernehmen sie das Geschäft, der ursprüngliche Importeur zieht zurück in die USA.
Gerull und Czizikowski erweitern das Sortiment um Pizzen. Die Nachfrage bei Kunden wächst, doch viele Bioläden stellen sich stur. "Mancher hat uns gesagt: Was brauche ich eine Tiefkühlung, ich verkaufe doch alles frisch." Überhaupt ist weiterverarbeitetes Essen in der Bio-Szene verpönt.
Bevor die Ökofrost-Chefs ihre Produkte anbieten können, verkaufen sie mit viel Überzeugungsarbeit Tiefkühlgeräte an Naturkostläden. Später mieten sie sich Autos und fahren die Ware persönlich aus. "Oft gab es nur 7,5-Tonner. Da hatten wir dann eine kleine Ecke in dem riesigen Laderaum belegt, das sah lustig aus." Ökofrost hat eine Tiefkühlbox am Großmarkt in der Beusselstraße angemietet, dort kommt das Speiseeis von der Fabrik in Holland an. Czizikowskis Freundin hilft beim Zusammenstellen der Lieferungen. "Geld verdienen war in den ersten Jahren schwierig", sagt er.
Der 39-Jährige - Brille, kurz rasierte Haare und Ehering - sitzt beim Erzählen ruhig und ernst im Sessel. Boris Czizikowski ist keiner, der mit den prekären Anfängen kokettiert. Sein Partner genauso wenig. Die beiden tragen Rollkragenpullis, die Büroräume auf den 250 Quadratmetern sind funktional eingerichtet. An den Wänden hängen Bilder von der Garnelenfabrik in Ecuador, die Ökofrost beliefert, und vom zugehörigen Mangroven-Schutzprojekt. Auf einer anderen großformatigen Fotografie ist eine Lachsfarm im Meer zu sehen, schneebedeckte Berge im Hintergrund. Schottland oder Norwegen, das wissen die Chefs nicht so genau. Auf einem Tisch im Hintergrund sind die Verpackungen des Ökofrost-Sortiments aufgebaut. Erbsen neben Spinat, Lamm- neben Hähnchencurry, Pizza Margarita neben Pizza Diavolo.
Ökofrost hat das Sortiment nach und nach erweitert: Gemüse, Fischstäbchen, mehr Eissorten. Dann kommt BSE, der Rinderwahn. Bio wird aus der Nische ins Rampenlicht gedrängt. Die ersten Bio-Supermärkte öffnen, die Nachfrage explodiert. Aus der für Kleinunternehmer typischen GbR wird 2002 die Ökofrost GmbH. "Das war so die Zeit, als es sich von selbst trug", sagt Gerull. "Wir konnten davon leben, aber die Gehälter der Mitarbeiter waren schon ziemlich dürftig." Mit dem kontinuierlich steigenden Interesse an Bioprodukten, befeuert durch immer neue Lebensmittelskandale, wächst auch das Ökofrost-Geschäft. Inzwischen vertreibt das Unternehmen Fertiggerichte, Erbsen, Bohnen, Lachssteaks, alles tiefgekühlt natürlich. Eine Lagerhalle in Großbeeren wird angemietet.
Vor fünf Jahren gründen Gerull und Czizikowski ihre eigene Tiefkühlmarke. Das Logo von "Biopolar" ist ein skizzierter Eisbär. Die Bio-Pizza dafür wird im saarländischen Werk des Großunternehmers Wagner produziert, Fischstäbchen, Lachsfilets und Lammcurry werden europaweit zubereitet und verpackt. Gerull und Czizikowski schenken Supermärkten und Einzelläden eine Tiefkühltruhe im Biopolar-Design, wenn im Gegenzug nur ihre Produkte darin verkauft werden. Längst beliefert Ökofrost Bioladen-Ketten deutschlandweit, auch einige herkömmliche Supermärkte zählen zu den Kunden des Großhändlers.
Ist die Nachhaltigkeit dabei auf der Strecke geblieben? Entspricht es noch einem ganzheitlichen Lebensstil, Waren über Hunderte, teilweise Tausende Kilometer zu transportieren? "Wir haben Lücken gefüllt, die andere nicht bedient haben", sagt Gerull. "Die Frage ist doch, ob wir als Marktteilnehmer die Kunden bevormunden wollen." Biokäufer wollten inzwischen auch in der Tiefkühlung ein entsprechendes Sortiment. Gerull und Czizikowski sagen, sie überlegten bei den Produkten und ihrer Anlieferung im Einzelfall: Gemüse aus China etwa, das müsse nicht sein. Bei den Garnelen unterstütze Ökofrost das Mangroven-Projekt am Fangort. Das steht dann auch auf der Packung - damit die Verbraucher wissen, warum der Fisch zwei- bis dreimal so viel kostet wie beim Discounter.
"Leider funktioniert Regionalität bei Tiefkühlwaren sehr schlecht", fügt Czizikowski hinzu. Allein aufgrund der Mengen brauche es Produktionsstätten, die entsprechend ausgestattet seien. Der technologische Aufwand ist hoch. "Pizza von hier, das geht nicht." Die regional verbrauchten Mengen im Bio-Tiefkühl-Bereich reichten derzeit einfach nicht aus, um jeweils eine eigene regionale Produktionsstätte aufzubauen und zu unterhalten.
Allerdings denken die Geschäftsführer über eine regionale Eismanufaktur nach. Dank des gestiegenen Umsatzes sind Rücklagen für Investitionen da. Für das zu Ende gehende Jahr rechnen die Geschäftsführer mit 8,7 Millionen Euro Umsatz - nach 6,9 Millionen Euro 2010. Auch für das kommende Jahr sollen bis zu 20 Prozent Umsatzwachstum drin sein. Bio sei kein Trend, sondern der Wandel einer Lebenseinstellung, davon ist Czizikowski überzeugt. Er hat neben den prosperierenden Bio-Supermärkten auch Drogerien und Reformhäuser ins Visier genommen.
Die Gewinne des Unternehmens sind freilich noch überschaubar - 200.000 Euro waren es 2010. Czizikowski und Gerull zahlen seit ein paar Jahren Weihnachtsgeld an ihre Mitarbeiter, zudem sind die Gehälter stetig gestiegen. Die Schere zwischen Chef- und Assistentengehalt klafft deutlich weniger auseinander als bei anderen Firmen. In der kleinen Küche des Firmensitzes in der Bregenzer Straße steht außerdem eine fast zwei Meter hohe Tiefkühltruhe. Daran ein Zettel, der den Inhalt der Fächer verrät: 1 - Pizza, 2 - Gemüse, 3 - Fisch. Die Mitarbeiter können sich kostenlos bedienen und die Biopolar-Produkte in der Mikrowelle aufwärmen.
Ganz selbstlos bieten die Geschäftsführer diesen Service nicht an: Im angrenzenden Raum sitzt die Mitarbeiterin von der Qualitätssicherung. Sie ist angehalten, die Produkte regelmäßig zu testen, auf Inhalt und Verpackung. Letztere gestalten Gerull und Czizikowski übrigens nach wie vor selbst. "Wir haben uns beispielsweise beim Eis für ein Agenturbild entschieden", sagt Gerull. "Das sieht genauso gut aus und kostet nur einen Bruchteil von einem Exklusivauftrag."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid