Bildungsstreik in Berlin: Der Präsident lässt räumen
Eine Besetzung an der Freien Universität wird am Mittwochabend von der Polizei aufgelöst. Tags darauf demonstrieren tausende Schüler und Studierende.
In der Geschichte der Freien Universität (FU) haben Studierende schon oft Seminarräume besetzt, um ihre bildungspolitischen Forderungen zu bekräftigen. Dass die FU-Leitung umgehend die Polizei einschaltet, war in den vergangenen Jahrzehnten unüblich. Anders am Mittwoch: Nach einer Vollversammlung hatten Studierende Seminarräume der Silberlaube besetzt. Noch am selben Abend rückten mehrere Hundertschaften an. Der Räumungsantrag wegen Hausfriedensbruch habe die Unterschrift von FU-Präsident Peter-André Alt getragen, berichten Studierende.
"Ein souveränerer Präsident wäre mit diesem Problem anders umgegangen", kritisiert Peter Grottian, Hochschullehrer für Politologie. In den rund 30 Jahren, die er am Otto-Suhr-Institut (OSI) tätig war, habe er unzählige Streiks und Besetzungen erlebt. Linie der Verantwortlichen sei immer gewesen, den Dialog mit den Studierenden zu suchen - auch nach wochenlangen Besetzungen. "Es gehört zur guten Kultur der FU, die Dinge ohne die Polizei zu regeln", so Grottian. Auch der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) kritisierte den Polizeieinsatz als "völlig unverhältnismäßig".
Das Seminarzentrum der Silberlaube war Mittwochnachmittag im Anschluss an eine Vollversammlung besetzt worden. Rund 800 Studierende hatten auf der Versammlung über einen Forderungskatalog zu Bildungsfragen abgestimmt. An der anschließenden Besetzung hätten sich rund 200 Studierende beteiligt, wird berichtet. Nach Darstellung von Teilnehmern wurden die Besetzer im Laufe des Nachmittags von Universitätsmitarbeitern mit einem Ultimatum von Präsident Alt konfrontiert, die Räume bis 22 Uhr freizumachen, andernfalls werde geräumt. So kam es es dann auch.
Nach Polizeiangaben waren an der Räumung, die bis kurz nach Mitternacht dauerte, rund 140 Beamte beteiligt. 56 Personen "mussten aus dem Raum gebracht werden", teilte die Pressestelle mit. Gegen alle 56 sei ein Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruchs eingeleitet worden.
Studierende, die an der Aktion beteiligt waren berichteten der taz, einige der Beamten seien bei der Räumung recht unsanft vorgegangen. Vor der Silberlaube hätten sogar Polizisten mit Hunden ohne Maulkorb gestanden. Zum Einsatz gekommen seien diese aber nicht. "Der eigentliche Skandal ist die kompromisslose Haltung der Unileitung", so AStA-Referent Arvid Teschel. Er forderte die sofortige Rücknahme der Strafanträge.
Der Sprecher des FU-Präsidenten, Goran Krstin, verteidigte die Räumung. Die FU habe ihr Hausrecht durchsetzen lassen müssen. Das Präsidium habe "großes Verständnis", wenn sich Studierende "für ihr Recht auf eine angemessene Bildung und Ausbildung einsetzen", so Krstin - sofern es nicht zu Beeinträchtigung von Lehrveranstaltungen komme. "Vor dem Hintergrund der mit den doppelten Abiturjahrgängen und der Aussetzung der Wehrpflicht im Zusammenhang stehenden Erhöhung der Aufnahmekapazität im laufenden Semester ist die Nutzung von Räumen für außerplanmäßige Veranstaltungen nur sehr beschränkt möglich", so Krstin. Im Rahmen "der üblichen Öffnungszeiten" sei den an der Aktion beteiligten Personen ein Alternativraum angeboten worden. Das hätten diese aber abgelehnt.
Unterdessen ging der "Bildungsstreik" auch am Donnerstag weiter. Im Rahmen einer bundesweiten Aktion, an der sich über 40 Städte beteiligten, gingen auch in Berlin mehrere tausend Schüler und Studierende unter dem Motto "Bildungsblockaden einreißen" auf die Straße. Die Polizei sprach von 2.100, die Organisatoren von 6.000 bis 7.000 Teilnehmern. Bei eisigen Temperaturen sah man Transparente mit Aufschriften wie "Reiche Eltern für alle" und "Kein Sex mit Bologna". Gerufen wurden bekannte Parolen wie "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut". Wärmer wurde es dadurch nicht, aber die Stimmung war gut.
"Unserer Schule wurde das Geld gekürzt", erzählte Jan Palamartschuk, der in die 7. Klasse des Fichtenberg-Gymnasiums geht, einer Integrationsschule mit blinden Kindern. "Wir sind 32 Schüler in meiner Klasse, das sind viel zu viele", sagte er. "Fuck off Elitenbildung" steht auf seinem Plakat.
Die Demonstration führte zum Alexanderplatz. Die dortige Schlusskundgebung war kurz und endete mit den Worten: "Wir wären doof, wenn wir glauben würden, nach dem heutigen Tag würde sich irgendetwas ändern." Anschließend zogen viele Demonstranten weiter in Richtung Humboldt-Universität (HU). Rund 150 Studierende blockierten dort für kurze Zeit das Foyer des größten Seminargebäudes. Nach Angaben mehrerer Teilnehmer sollte danach die Bibliothek besetzt werden. "Wir sehen das als Anfangspunkt eines Prozesses", sagte Max Manzey von der Bewegung Occupy HU.
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