Bildungspolitik von unten: Besetzt, aber nicht blockiert
Am Mittwoch gab's im Alten Gymnasium die vierte Schul-Besetzung. Unterricht soll nicht ausfallen und mit "Chaoten" wollen die Protestler nichts zu tun haben
"Haec schola occupata est" stand am Mittwoch auf einem Transparent über dem Haupteingang des Alten Gymnasiums - es war die vierte Schule, die von SchülerInnen des Kollektivs "Fort Bildung" besetzt wurde. Los ging's eine Woche zuvor im Gymnasium Hamburger Straße, von dort aus waren die SchülerInnen wie Protest-Nomaden zum Kippenberg Gymnasium weitergezogen. Denn nicht einzelne Schulen, sondern die Bremer Bildungspolitik und besonders die Kürzungen bei den Lehrerstunden stehen in der Kritik.
"Ich sitze mit 34 Schülern in meinem Englisch-Kurs", sagte Paul Kreiner, der seit August die zehnte Klasse des Alten Gymnasiums (AG) besucht. Auf Grund der Stundenkürzungen, über die Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) kurzfristig entschieden hatte, waren auch im AG mit Beginn des neuen Schuljahres vor allem Kurse in der Oberstufe zusammengelegt worden. "80 Stunden von LehrerInnen fielen weg, viele davon Förderstunden", sagt Meret Trapp, die die Besetzung mit organisiert hat. Nur das Gymnasium Hamburger Straße habe noch mehr einsparen müssen.
"Mehr Geld für Bildung", "mehr Beteiligung an Entscheidungen" und "bessere Lernbedingungen" - die einzelnen Forderungen wollen die SchülerInnen am Mittwochabend im AG endgültig beschließen. Dafür erwartete Marlin Meier, Sprecher des Kollektivs, mehrere hundert SchülerInnen. Am Dienstag hatten bereits 150 von ihnen darüber diskutiert, auf einer Vollversammlung in der Gymnasialen Oberstufe am Leibnizplatz, die auch besetzt worden war. Es habe Stunden gedauert, so Meier. Im AG geht es nun weiter.
Am frühen Nachmittag waren 30 SchülerInnen in der Aula versammelt. Eigentlich sollten Workshops und Diskussionsrunden stattfinden, doch noch fehlten viele, denn in anderen Schulen war noch Unterricht. "Die meisten kommen erst heute Abend, um dann hier zu übernachten", so eine Schülerin. Denn durch die Besetzungen soll kein Unterricht ausfallen, auch nichts kaputt gehen oder Gewalt angewendet werden. Diesen "Aktionskonsens" sicherzustellen und zum "Schutz vor Chaoten", so ein Schüler, wurde bei den vorangegangenen Besetzungen sogar ein privater Sicherheitsdienst beauftragt - im Einvernehmen zwischen Schulleitung und SchülerInnen.
Der bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Sülmez Dogan, waren diese Probleme bislang nicht bekannt. "Falls Mängel entstanden sind, müssen wir das verbessern", so Dogan. Eine Beteiligung ist für sie bereits durch das Rederecht eines Vertreters der GesamtschülerInnenvertretung in der Bildungsdeputation gegeben.
Auch im Bildungsressort ist man weiterhin gesprächsbereit, sagte die Ressortsprecherin Karla Götz. "Am Alten Gymnasium hatten Grundkurse immer eine große Stärke, Leistungskurse wurden nicht gestrichen", so Götz. Kurzfristig sei ein Treffen von den SchülerInnen abgesagt worden, sonst hätte sie gern erklärt, dass vor allem in den Grundschulen die Umsetzung der Inklusion zu überplanmäßigen Ausgaben führt und welche Schülerzahlen von den Maßnahmen nun betroffen seien.
Andrea Spude, vom Zentralen Eltern Beirat hingegen sagte, auch in den Grundschulen seien Stellen gestrichen worden. Sie begrüßte das Engagement der SchülerInnen, denn "im Bildungshauhalt ist kein Sparpotenzial", so Spude. Die Eltern mischten sich bei den Beseztungen nicht ein, von manchen aber werde Proviant vorbei gebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen