: Bildungspolitik kostet Geld
betr.: „Henkel: Politiker müssen ins Internet“, taz vom 2./3. 12. 00
Herrn Henkel ist nicht zuzustimmen, wenn er behauptet, die Achtundsechziger seien an der Verschlechterung des Bildungssystems schuld. Die positiven Reformansätze konnten sich nicht überall durchsetzen, weil in den Kultusbürokratien der Bundesländer das Elitedenken vielfach vorherrschte. Schuld war das internationale Finanzkapital. Die Nationalstaaten verloren die Kontrolle über die ins Ausland abwandernden unversteuerten Geldströme. Der Staat musste Kredite aufnehmen, weil die Steuereinnahmen überall fehlten. Dies führte auch zur Verarmung der Länderhaushalte. So geriet der Staat in die Abhängigkeit des internationalen Finanzkapitals. [...]
Die Arbeitnehmer müssen 60 Prozent des Steueraufkommens tragen, wovon ein großer Teil in den Rüstungshaushalt fließt. Der Staat strich im Sozialbereich die Gelder. Das Bildungssystem leidet darunter, dass die Klassen zu groß sind. Kinder in einer Klasse von bis zu 30 SchülerInnen können nicht individuell gefördert werden, denn nicht jede/r stammt, wie Herr Henkel, aus einer Familie mit großem Geldbeutel und hohem Bildungsstandard. Bis heute herrscht an den Schulen das preußische Leistungsprinzip mit Notenterror. Daran kann es liegen, dass laut Timms-Studie in den Fächern Physik, Mathematik und Chemie die deutschen Gymnasien am unteren Rand liegen.
Das Leistungsprinzip bewirkt bei vielen das Gegenteil von dem, was es bewirken soll. Die Bildung ist immer noch von der Dicke der Brieftasche abhängig. Wen nimmt es da wunder, wenn StudentInnen jobben müssen und deshalb länger studieren? Wenn sie in überfüllten Seminaren, wo die Professoren keine individuelle Hilfestellung leisten können, schlecht Abschlüsse machen? Eine gute Bildungspolitik kostet nun mal sehr viel Geld. Es stellt sich die Frage, ob bei 10 Billionen Mark an Privatvermögen die Sozialpflichtigkeit laut Grundgesetz gewährleistet ist. Die Anschaffung von Computern an den Schulen und das Personal dafür kosten ebenfalls Geld. Wenn die Bildungspolitik revolutionär sein will, ist es erforderlich, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Die 68er Studentenbewegung war revolutionär, der Marsch durch die Institutionen ließ sie konservativ werden.
Unternehmer waren noch nie revolutionär, Herr Henkel! Im Gegenteil, sie trugen die sozialen Errungenschaften der Arbeiterbewegung nach dem Zusammenbruch des Ostblocks endgültig zu Grabe. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass sich die Bildungspolitik qualitativ verschlechterte und die fortschrittlichen Ansätze der Vernichtung anheim fielen. ROSWITHA LUXZ, Bremen
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