Ein interessantes Echo. Wohlgemerkt, mit meinem Einwurf geht es mir nicht um die inhaltliche Diskussion des vordergründig für die Rechtfertigung der Gemeinschaftsschule als Spielart der Einheits- "Schule für alle" herhaltenden Arguments der rechtzeitigen, begabungs- und leistungsgerechten Auswahl des Bildungsweges nach der Grundschule. Ich begrüße das Eintreten für einen sechsjährigen Vorlauf, wenn dieser, wie in Schweden oder in den Niederlanden z.B., eine obligatorische zweijährige Vorschule (statt der Aufbewahrung im Kindergarten) einschließt. Alle Details der Gemeinschaftsschulstruktur sind - zumindest in Schleswig-Holstein, wo sie (noch) seit 2007 im Schulgesetz festgeschriebene Angebotsschule ist, vorgetragen worden, wenn auch noch nicht von jeder/m.
Es geht auch nicht um einen Nazivergleich oder eine Nazikeule (reine Muskelrhetorik), sondern um die Aufarbeitung der Frage, warum sich namentlich die heutige Linke auf ein Erziehungsstrukturmodell eines Wegbereiters des Nationalsozialismus beruft. Wer die heute noch im Handel befindlichen (und in der Ausbildung junger Erzieher und Lehrer eingesetzten) Schriften Petersens auch nur halbwegs aufmerksam liest, muß sich fragen, ob die, die seine Lehre befürworten, im Einklang mit dem Ziel einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsentwicklung stehen. Goethe, mit Verlaub, ist als Staats- und Gesellschaftstheoretiker ja ebensowenig zu ewigem Ruhm gelangt wie als Physiker (wiewohl er seine Farbenlehre für seine wichtigste geistige Leistung hielt).
Also: Es geht nicht um einen NS-Vergleich, sondern um die historische Analyse, was dieses Modell einer "Schule für alle" denn eigentlich bedeutet.
Alle Vertreter dieser Richtung nehmen immer wieder auf Petersen und seine Jenaplan-Schule als Urheber und Ursprung Bezug.
Und da gehört es einfach zu der Sachaufklärung, deutlich zu machen, daß der Ursprung dieses Konzepts der absolute Wille Petersens (und ihm geistig nahestehender anderer) zur Verwirklichung dieser Ideen war, für die Realisierung seiner politischen Grundhaltung die Hebel und Schaltstellen zu nutzen, die er mit seiner Berufung auf den Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft der Universität Jena 1923 zur Verfügung bekam. Man kann und darf die Grundhaltung Petersens nicht von seinem "wissenschaftlichen" Wirken getrennt sehen. Er verwirklichte in seiner Position seine Lebensidee und seine Grundüberzeugung - und nutzte, von Nazis wie dem späteren nationalsozialistischen Rektor der Heidelberger Universität, Ernst Krieck, auch Erziehungswissenschaftler, schon vor 1933 gefördert und protegiert, diese Position zur bereits erwähnten Wegbereitung. Welch genialer Trick, sich der Lehrer- und Erzieherausbildung zu bemächtigen, die übrigens sehr direkt an die Phantasie des heutigen Hamburger SPD-Vorsitzenden erinnert, der 2006 von der Eroberung der "Lufthoheit über den Kinderbetten" konfabulierte.
Petersen war ein Demokratiefeind - wie viele Leute in seiner Zeit. Er fand aber schon sehr früh auch noch Gefallen an den damals, Anfang der 20er, aufkeimenden NS-Ideen und Ideologien. Und da sah er seine Chance darin, in diesem Umfeld eine Schule zu begründen, die darauf zugeschnitten war, mittels von ihm entwickelter Erziehungsmethoden (er spricht immer wieder von "Zucht") genau die Charaktere zu formen, die die gleichförmige Masse, die er „völkische Gemeinschaft“ nennt, bilden. (Leicht bereinigt) nachzulesen noch heute in dem immer noch nachgedruckten "Der kleine Jena-Plan" (Beltz-Taschenbuch 80, Weinheim und Basel, 63.Auflage 2007)
Exzellenz ist in Petersens Schule nicht gefragt, auch nicht geduldet, nur als "Führerpersönlichkeit", die dann aber diese Masse führen wollen muß. Ein- und Unterordnung in die Masse, nur dem Gemeinschaftswohl, weder dem eigenen Leben noch dem individuellen anderen Menschen verbunden, sondern nur als Teil der geführten Gemeinschaft, sogar "eigenes Recht schöpfend". Petersens oberstes Ziel ist die Erziehung in diesem Sinne, die die Erzieher ausdrücklich auch gegen die Eltern und deren Willen und Wünsche durchsetzen sollen. Die Schule als aktive, offene Institution, die Wissen, Fähigkeiten fördern, Erfahrung, Neugierde und Methodik des Lernens und Lösens offener Fragen vermitteln soll, tritt bei ihm zurück - weder hatte er wohl dafür ein Konzept, noch lag ihm dieses überhaupt nahe. Das ist genau die heutige "Bildungsgerechtigkeit" der Linken, in der keiner mehr wissen darf als der Schwächste. Warum soll der schnellere Lerner (was absolut nicht als Wertung zu verstehen ist!) weiter vorankommen als der Langsamste? Weltliche Güter und Einfluß und Macht mag man umverteilen können, Fähigkeiten und Begabungen nicht. Es gibt nichts Ungerechteres als die Gleichbehandlung Ungleicher.
Um aber genau die eigentlich nicht wegzuideologiesierenden Leistungs- und Fähigkeitsunterschiede zu verdecken und damit auch die Entwicklung der Fähigkeit, sich selbst zu bewerten, fällt in der modernen Gemeinschaftsschule die Notengebung weg - wie schon 1927 bei Petersen. Ganz klar ein Stück aus dem Petersenschen Werkzeugkasten zur Entindividualisierung. Ein Jahr zu wiederholen, was offenbar als schweres Trauma, nicht als Hilfe, noch nicht Verstandenes im zweiten Anlauf zu bewältigen, interpretiert wird, - das gibt es in der Gemeinschaftsschule getreu nach Jenaplan-Vorbild ebenso auch nicht. Bei Petersen verbatim nachzulesen. Nur zwei Beispiele einer lange Reihe kongruenter Merkmale, die nur einen Schluß zuläßt: Die Gemeinschaftsschule ist ein Abklatsch der Petersenschen Gleichschaltungsschmiede, und man muß fragen, was die politischen Ideengeber im Sinne führen.
Die Jenaplanschulen wurden den heutigen in Schleswig-Holstein bisher an Haupt- und Realschulen tätigen Lehrern in ihrer immerhin mehrstündigen, für die fundierte Tätigkeit in der Gemeinschaftsschule befähigenden Fortbildung, als Ursprung und Quelle des Konzepts vorgestellt. Kritische Gedanken hatten auch in diesen Fortbildungen keinen Platz. Junge, aufgeweckte Lehrkräfte verglichen diese "Fortbildungen" mit Gehirnwäsche.
Anders denken, Regeln und Rituale in Frage stellen - kein Platz mehr dafür?
Bildungssozialismus: Keiner darf mehr wissen als der Schwächste. Nur dann ist Bildungsgerechtigkeit hergestellt, wenn alle gleich gebildet sind. Petersens Ziel war die homogenisierte Menschenmasse, die nur als Gemeinschaft, wie ein Heringsschwarm, existierte, in der der Einzelne sich nur als Teil der Menge, auf keinen Fall aber als freies, selbstbestimmtes Individuum, sah.
Übrigens hat Petersen auch kein Konzept zur Stützung der allerlangsamsten Lerner, die heute Förderschüler genannt werden, entwickelt - überhaupt war, es sei noch einmal wiederholt, nicht Wissensvermittlung sein Ziel, sondern eben Erziehung - aber in seinem Sinn. Und genau dafür hat er dieses Konzept entwickelt und in dem pädagogischen Werkzeug Jenaplanschule verwirklicht. Die Nationalsozialisten erkannten früh, daß ihnen dieses Schulkonzept dienlich sein würde, und förderten es daher nach Kräften - zu Petersens Zufriedenheit und Freude.
Dieses Werkzeug ist wie eine Gußform - was immer man hineinkippt, es kommt immer das Gleiche heraus. Es ist eine Fabrik für willenlose Glieder einer kommunitaristischen Gesellschaft.
Petersen vergaß aber auch nicht, daß es Führerpersönlichkeiten brauchte, die der Masse / Gemeinschaft eine Richtung vorgeben - diese sollten aus den wenigen Widerstandsfähigen herausgefiltert werden, die er als Ergebnis seiner Erziehungsprinzipien auch in seiner Schule erwartete. Er beschrieb diese "Führer" als die, die auch nach vielfacher Demütigung und Erniedrigung (die Schule schöpft ihr eigenes Recht!) sich wieder aufrafften und behaupteten, aber eben nicht als freiheitswilliges Individuum, sondern in diesem Dualismus von Masse und Führer als eben letzterer.
Und all dieses hat er schon früh, spätestens 1927, formuliert und seitdem bis 1945 in Jena an "seiner" Schule umgesetzt. Als er sich 1946 an der neugegründeten Bremer Universität auf den neuen Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft bewarb, wies ihn der damalige Bremer Wissenschaftssenator wegen seiner NS-Vergangenheit zurück.
Ich sehe das historische Mißverständnis, daß dieses Mittel zur Gleichmachung und Gleichschaltung aus der Werkstatt der Nazis heute kritik- und gedankenlos wiederverwendet wird, ohne sich darüber im Klaren zu sein, zu welchem Zweck und mit welchem (damals durchaus erfolgreich erreichten) Ziel dieses seinerzeit entstand. Und daß dieses Werkzeug, diese Gußform auch heute noch den gleichen Zweck erfüllt wie zu Petersens Zeiten.
Das ist, denke ich, nicht nur mehr, sondern etwas ganz anderes als ein NS-Vergleich. Es ist der Hinweis auf die NS-Herkunft dieses Konzepts und die Rolle, die es - neben vielen anderen - in der Vorbereitung und Entstehung einer totalitären Gesellschaft gespielt hat. Das darf sich nicht wiederholen.
Erschütternd ist aber auch, daß die heutige "Erziehungswissenschaft" sich dieser Ursprünge ihrer Kunst gar nicht bewußt ist. Die gesamte Branche hat ihre Vergangenheit (die auch nur bis ca. 1905 zurückreicht) noch nicht ansatzweise bewältigt. Methodenkritik scheint ihr - zumindest bezüglich ihrer Wurzeln - ebenso fern wie eine eigene Ingenuität und Innovationskraft. Die Reformpädagogik war 1935 ausgebrannt, sie hat sich selbst ad absurdum geführt, seitdem sind wirklich neue, profunde Ansätze nicht zu sehen.
Mir scheint, daß dieses Thema insgesamt eine Schlüsselfunktion hat, daß sich alle andere Kritik an sog. Gemeinschaftsschulen und vergleichbaren Konstrukten daraus ableiten oder auch darauf zurückführen läßt. Die Diskussion hierüber muß beginnen.
Auf die Frage nach Quellen sei u.a. auf die zahlreichen Links in den erwähnten Webseiten verwiesen. Diese werden, wenn ich recht informiert bin, in nächster Zeit um viele Reproduktionen von Originaltexten Petersens und anderer ergänzt.
Nicht unerwähnt bleiben dürfen die Forschungen, die neuerdings an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main mit Hilfe der Böckler-Stiftung durchgeführt wurden und werden. Interessierten sei die Lektüre des Buches "Mythos und Pathos statt Logos und Ethos", ebenfalls im Beltz-Verlag erschienen, nahegelegt, das die Ergebnisse der vorgenannten Untersuchungen dokumentiert.
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