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Bildungsextremistin auf ArteLaizismus reloaded

In "Heute trage ich Rock!" mimt Isabelle Adjani eine französische Lehrerin als Bildungsterroristin. Am Freitag um 21 Uhr auf Arte.

Sonia (Isabelle Adjani) ist den Respektlosigkeiten ihrer Schüler jeden Tag ausgesetzt. Bild: arte f/jean-marie marion

Gerechter Frustabbau oder reaktionäre Militanz? Im Lehrerzimmer ist man sich nicht einig darüber, was man von der Kollegin halten soll, die ihren Schauspielkurs geschlossen als Geisel genommen hat. "Wir wissen, dass sie rassistisch ist", sagt einer. "Sie trägt doch bloß Röcke", sagt eine andere. Das mit den kurzen Beinkleidern ist in dieser Problemschule in der Pariser Banlieue verdächtig, schließlich verträgt sich das nach Meinung vieler Lehrer nicht mit den religiösen Gefühlen der zum Großteil muslimischen Schüler.

Lehrerin Sonia Bergerac selbst genießt derweil im abgeriegelten Musikraum die Möglichkeit, ohne Wenn und Aber ihrem Bildungsauftrag nachzukommen. "Reden wir über Moliere!", befiehlt sie den Schülern, denen bei vorgehaltenem Revolver nichts anderes übrig bleibt, als das Theater mitzumachen. Die Waffe, von einem Halbwüchsigen mitgebracht, fiel zufällig in die Hände der Lehrerin; aber jetzt erscheint sie als adäquates Mittel, ihre Belange durchzusetzen.

Die wunderbare Isabelle Adjani, inzwischen 53 Jahre alt, gibt die Lehrerin Bergerac als eine Art Bildungsterroristin. Ihre inzwischen etwas volleren Wangen röten sich niedlich bei all der Aufregung, aber der von Adjani verkörperten Zufallsgeiselnehmerin ist es mit ihren Worten durchaus ernst.

Das Wort "Laizismus" klingt aus ihrem Mund wie eine extremistische Parole, und um die Trennung von Kirche und staatlichem Bildungswesen zu bekräftigen, fordert sie einen "Tag des Rocks" an allen Schulen.

Man darf die "Falling Down"-Variante nicht als Sozialdrama sehen. Den zermürbenden Alltag an Brennpunktschulen und mögliche oder unmögliche Strategien, diesen zu überwinden, wurden präziser in anderen Filmen beleuchtet - hierzulande in Lars Kraumes "Guten Morgen, Herr Grothe", in Frankreich in Laurent Cantets "Die Klasse". Waren die in ihrer nüchternen und doch teilnehmenden Beobachtung frei von denunzierendem Unterton, spitzt Regisseur Jean-Paul Lilienfeld für seine TV-Produktion, die auch in der Panorama-Sektion der Berlinale lief, nun drastisch und pietätlos zu.

Lilienfeld will beleidigen, angreifen, vorführen. "Heute trage ich Rock!" ist eine Art Reality-Show, in der junge Laiendarsteller aus der Pariser Peripherie auf eine durch und durch theatralische Inszenierung treffen. Das ist hochspekulativ, eröffnet aber zugleich Diskussionsspielraum. So gesehen fungiert Lehrerin Bergerac weder als selbstgerechte Frustkämpferin noch als militante Reaktionärin. Sie ist vielmehr die Versinnbildlichung eines Schulsystems, das an den ihr zugewiesenen Aufgaben zwischen Bildungsinstitution und Verwahranstalt endgültig zu kollabieren droht.

Dass hier humanistische Ideale mit der Waffe durchgesetzt werden, erscheint lediglich als provokanter Dreh ins Groteske.

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1 Kommentar

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  • A
    archimedes

    Gut an dem Artikel finde ich v.a. die Verweise auf Filme mit ähnlicher Thematik. Zum letzten Satz würde ich sagen: Zu versuchen, humanistische Ideale mit der Waffe durchzusetzen, ist doch geradezu "klassisch" - steht in der Tradition, dass (vermeintlich) zivilisiertere Kulturen (vermeintlich) "barbarischere" glauben mit fast allen Mitteln "bekehren" zu dürfen, ja zu sollen.

    vgl. spätestens Napoleon Bonaparte I. Das Verrückte dabei ist, dass tatsächlich vielleicht eine Verteidigung der Freiheit mit Gewalt das kleinere Übel ist - vgl. auch A. Camus: Die Pest, wo der Arzt Rieux darauf hinweist, dass zur wirksamen Bekämpfung der Krankheit manchmal eine gewisse Anpassung an fragwürdige Mittel nötig ist. Es bleibt aber immer eine gefährliche Gratwanderung und zu oft schlägt es mittel- oder langfristig doch ins Gegenteil um. Ein bisschen mehr von M. Gandhi ist da oft nachhaltiger erfolgreich.