Bildungschancen für Zuwanderer: Tausche Sprachkurs gegen Sexualkunde
Nach dem neuerlichen Pisa-Schock wollen die Kultusminister die Chancen für Zuwandererkinder verbessern. Neu ist, dass sie mit den Migranten selbst zusammenarbeiten möchten.
BERLIN taz Wie schlecht die Bildungschancen für Zuwanderer in Deutschland sind, hat die jüngste Pisa-Studie wieder gezeigt: Mit 77 Punkten Rückstand hinken im Ausland geborene 15-Jährige hinter ihren Altersgenossen mit deutschen Eltern her - mit 93 Punkten die Jugendlichen der zweiten Einwanderergeneration. Das bedeutet mehr als zwei Schuljahre Leistungsunterschied.
Nun will die Kultusministerkonferenz mehr Chancengerechtigkeit an den Schulen herstellen. In einer gemeinsamen Erklärung mit den Migrantenverbänden "Integration als Chance", die am Donnerstag nach Redaktionsschluss unterzeichnet werden sollte, haben die Kultusminister Ziele vereinbart. Gleichzeitig wird damit der Nationale Integrationsplan konkretisiert, der im Juli dieses Jahres im Kanzleramt verabschiedet wurde.
So heißt es in der Erklärung: "Gemeinsames Ziel aller ist, die Durchlässigkeit der bestehenden Schulsysteme aktiv zu fördern." Bisher stellt der Übergang auf das Gymnasium oft eine unüberwindbare Hürde dar. Nur 17 Prozent der 15-Jährigen mit deutschen Eltern besuchen eine Hauptschule, unter Zuwandererkindern sind es 32 Prozent. Hier ist das Ziel, "die Zahlen an die des Durchschnitts aller anderen Kinder und Jugendlichen anzugleichen".
Und auch die Zahl der Schulabbrecher, die unter Jungen aus Migrantenfamilien mit einer Quote von fast 20 Prozent besonders hoch ist, wollen die Kultusminister herunterschrauben. Die Länder seien sich "dieser Situation sehr bewusst", heißt es in der Erklärung. Doch schon im nächsten Satz stapeln die Kultusminister wieder tief: Kurzfristige Erfolge seien nicht zu erwarten.
Die Kultusminister wollen vor allem die Eltern von Migrantenkindern stärker einbinden. So sollen Sprachkurse für die Väter und Mütter ausgebaut werden. Auch sogenannte Erziehungsvereinbarungen zwischen Schulen und den Eltern solle es häufiger geben. In solchen freiwilligen Verträgen, die es an einigen Modellschulen bereits gibt, können Verpflichtungen festgehalten werden - etwa, dass die Kinder vor der Schule ein Frühstück bekommen sollen oder auch am Schwimmunterricht und Klassenfahrten teilnehmen.
Hier sehen sich auch die Migrantenverbände in der Pflicht. Sie wollen "durch aktive Aufklärungsarbeit" die Eltern zur Einhaltung der Schulpflicht auffordern - inklusive des Sexualkundeunterrichts. Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehören die Türkische Gemeinde in Deutschland und der Bundesverband Deutsch-Arabischer Vereine in Deutschland, aber auch griechische, italienische und spanische Verbände.
Experten wie Ernst Rösner vom Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund bewerten die Erklärung zwiespältig. "Das ist ein Katalog guter Vorsätze", sagte Rösner der taz. "Doch die entscheidende Frage ist, was daraus wird." So liege es nun in der Hand der einzelnen Länder, die Absichtserklärung der Kultusministerkonferenz auch umzusetzen.
In zwei Jahren wollen die Kultusminister und die Migrantenverbände wieder zusammen kommen. Und schauen, ob ihre Erklärung etwas bewirkt hat.
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