Bildungs-Demo: Für ein sauberes Bedürfnis
Mehrere Tausend Teilnehmer demonstrieren gegen Lehrermangel und fordern vom künftigen Senat mehr Geld für saubere Unterrichtsräume.
Verdreckt. Stinkend. Und oft nicht einmal abschließbar. Seine vierte Klasse hat David gerade zum Klassensprecher gewählt, aber gegen das ihm zufolge größte Problem der Reinhardswald-Grundschule in Kreuzberg kann er kaum etwas tun: Die Toiletten sind in einem katastrophalen Zustand, dringend sanierungsbedürftig. Damit sich daran etwas ändert, soll der neue Senat richtig viel Geld in die Hand nehmen - zumindest nach dem Willen von rund 4.000 Teilnehmern, die am Samstag für mehr Lehrer, Erzieher sowie saubere und adäquat ausgestattete Räumlichkeiten demonstriert haben. Im vergangenen Juni waren LehrerInnen, ErzieherInnen, SchülerInnen und Eltern schon einmal gemeinsam auf die Straße gegangen, nachdem sie ihren Protest in den Jahren zuvor oft separat voneinander organisiert hatten.
Am Samstag steht der Kreuzberger Klassensprecher David zwischen seiner Mutter, seiner Mathe-Lehrerin und anderen Schülern, Lehrern und Eltern seiner Schule. "Eigentlich sind wir dort sehr zufrieden", sagt die Mutter, Bettina Rave. Allerdings müssten einige LehrerInnen weit über die Grenzen der Belastbarkeit hinausgehen. Mathe-Lehrerin Gabriele Kluge bestätigt, dass das vorhandene Personal nicht ausreiche, um den Schülern individuell gerecht zu werden - besonders in jahrgangsübergreifenden Gruppen. "Die einen beherrschen den Zahlenraum bis zehn, die anderen den bis hundert und wieder andere können mit Mengen noch gar nichts anfangen. Wenn ich da allein bin und von einem Schüler zum anderen flitze, dann bin ich nach einer Stunde schweißgebadet."
Jahrgangsübergreifendes Lernen gibt es auch in Berliner Oberstufen, wenn auch aus der Not geboren: Till ist 16, geht am Friedrichshainer Heinrich Hertz Gymnasium in die zwölfte Klasse und saß anfangs mit 14 anderen im Physik-Leistungskurs. Dann wurde sein Kurs mit dem der 13. Klasse zusammengelegt, weil einer der beiden Physik-Lehrer an eine andere Schule beordert wurde. Geblieben sind 30 Schüler - und ein Lehrer. Viel Zeit für individuelle Nachfragen bleibe da nicht während der Abiturvorbereitung, sagt Till. Er und seine Freunde, die am Gendarmenmarkt die Abschlusskundgebung verfolgen, gehören zum ersten Jahrgang, der das Abi nach zwölf Jahren ablegt. "Durch die Verkürzung der Schulzeit bleibt kaum noch Luft für Freizeit oder politisches Engagement." Außerdem kümmere sich keiner darum, woher die ganzen Studienplätze für den doppelten Abiturjahrgang 2012 kommen sollten.
Es wäre eine Aufgabe für Renate Künast, würde sie in der neuen Regierung eine Rolle spielen. Die Grüne ist die einzige Spitzenkandidatin, die sich auf der Demo vom Alexanderplatz zum Gendarmenmarkt blicken lässt. Um sie herum weiß jeder etwas aus seinem Bildungsalltag zu erzählen: Die Erzieherin, die sofort einschläft, wenn sie überlastet von der Arbeit kommt; ein Vater, der kranke Schüler wegen der unbesetzten Sekretariatsstelle per Telefonkette abmelden lässt. Künast wiederholt, dass die Grünen 400 Lehrer einstellen und die Landesmittel für Schulsanierungen verdoppeln wollen.
Der Steglitzer Grundschullehrer Axel Bolm hat noch mehr Ideen: "Vor allem den Schülern ist mehr geholfen, wenn ältere Kollegen weniger arbeiten müssen. Denn wie einer im Spannungsfeld Schule zurechtkommt, das ist auch eine Frage des Alters." Den Jüngeren indes fiele der Gang an schwierige Schulen leichter, müssten sie dafür zwei Stunden weniger unterrichten, sagt Bolm. Welcher Partei ein solches Umsteuern zuzutrauen sei? "Ehrlich gesagt: Ich bin völlig ratlos."
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