Bildung gegen Hate Speech: Facebook gefällt das
Der Social-Media-Konzern sponsert Workshops, die über Hassreden im Internet aufklären. Auch in Freital. Nur: Dort interessiert das niemanden.
Wenig später wirft ein Projektor in einem Kinder- und Jugendtreff eine Präsentation an die lachsfarbene Raufasertapete. Der Beamer wird gestützt durch „Das große Pferdebuch“ und den „Großen Kinderatlas“.
Johannes Baldauf von der Antonio Amadeu Stiftung wird hier einen Workshop über Hassrede und Gegenrede im Internet halten, was viel lässiger klingt, wenn man es „Counter Speech“ nennt. Deshalb heißt die Tour, zu der dieser Workshop gehört, auch Counter Speech Tournee 2016. Initiator ist der Verein Laut gegen Nazis. Facebook tritt unter anderem als Sponsor auf. Ausgerechnet.
„In sechs Städten finden neben Workshops Konzerte statt, um sich gegen den Hass im Internet und auf der Straße auszusprechen, sowie Mittel und Wege gegen Fremdenhass aufzuzeigen“, heißt es in der Presseaussendung von Facebook vorab. Der Konzern stimmt damit ganz neue Töne an. Bisher hatte man sich bei Facebook eher geziert, aktiv gegen Hetze vorzugehen. Verständlich, immerhin sind da Tausende und abertausende Nippel zu zensieren, da bleibt kaum Zeit für anderes. Also erst Mal ein paar Workshops, um Buße zu tun?
Nur sieben Teilnehmer
Der Workshop in Freital, der eher ein eiliger Vortrag ist, holt einen dann ganz schnell wieder in die Realität zurück. Da sitzen sieben Frauen und ein Mann zwischen Kinderbüchern, Kaffee und Keksen. Sie alle arbeiten als Angestellte oder ehrenamtlich in Willkommensinitiativen und Schülertreffs in der Umgebung. Statt mit Social Media haben sie also mit viel schwerwiegenderen Problemen zu tun.
Ein Kamerateam betritt den Raum, entgeisterte Gesichter ob der leeren Stühle, sie entschuldigen sich für die Verspätung. Tatsächlich musste man sich anstrengen, um herauszufinden, wo und wann dieser Workshop stattfindet. Auf der Webseite stand eine falsche Uhrzeit und „Ort geben wir noch bekannt“.
Während der Kameramann noch versucht, sich günstig zu positionieren, versucht Baldauf einen sinnvollen Rahmen abzustecken: „Gegenrede macht nur Sinn bei Menschen, deren Meinung noch beweglich ist“, sagt er. Nur mit solchen Menschen haben es die Workshopteilnehmer nicht zu tun.
Die Anwesenden arbeiten vor allem mit Kindern und Jugendlichen, die von zu Hause Meinungen mitbringen. Sie müssen sich eher fragen, wie sie der Hetze und der unbeweglichen Meinung im Alltag Herr werden, digitale Kommentare sind für sie zweitrangig. Freital hat ein viel ernsteres Problem. Und Facebook hat offenbar auf die falsche Stadt gesetzt.
Mehrere Angriffe in einer Woche
In der vergangenen Woche wurden hier eine geplante Asylunterkunft, ein Büro der Linken und die Rathäuser zweier Stadtteile angegriffen. Außerdem wurden fünf Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppe Freital unter Terrorverdacht festgenommen. Ob dieser Ausgangslage wirkt die Veranstaltung wie eine halbherzige PR-Aktion, an der sich Facebook die eiskalte Seele wärmt.
Einer der Wege, um in die Filterblasen, die digital abgeschlossenen Räume von Rechten, vorzudringen, sei gezielte Werbung, sagt Baldauf. Auf YouTube wurde etwa vor ein Video über Lutz Bachmann ein Spot geschalten, in dem ein Flüchtling erzählt, dass er im Gegensatz zu Bachmann noch nie im Gefängnis gewesen sei. Das ist natürlich witzig, allerdings nimmt man so dem Konzern – in diesem Fall YouTube – nicht nur die Aufgabe ab, sich aktiv um Hassrede zu kümmern, man bezahlt ihn auch noch dafür, es nicht zu tun. Facebook gefällt das.
Das Counter-Speech-Konzert abends war ebenfalls ein mäßiger Erfolg. Ein paar Hundert Besucher kamen, um Smudo und Leslie Clio zu sehen. Die Polizei berichtet hinterher von 20 Platzverweisen und der vorläufigen Festnahme eines Mannes. Er hatte den Hitlergruß gezeigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Linke gegen AfD und BSW
Showdown in Lichtenberg
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten