Bildung bilden: Für die Kleinen nur das Beste
Kita und Schule müssten gleichermaßen an frühkindlicher Bildung arbeiten, fordert Pädagogik-Experte Wassilios Fthenakis.
BREMEN taz |Er könnte, wenn er Bildungspolitiker wäre, „keine Nacht ruhig schlafen“, mit dieser provozierenden Bemerkung fasste der renommierte Pädagoge Wassilios Fthenakis von der Uni Bozen seine Kritik an den bildungspolitischen Versäumnissen im Kita- und Grundschulbereich zusammen.
Der Festsaal der Bürgerschaft war bis auf den letzten Platz besetzt, gut 200 interessierte Expertinnen waren am Freitag zu einem Fachtag gekommen und hörten Fthenakis gebannt zu - darunter auch in der ersten Reihe die für Kita und Schule verantwortlichen Senatorinnen.
Vor fünf Jahren hatte ein Besuch von Fthenakis in Bremen noch mit einem kleinen Eklat geendet: Der Professor reagierte verärgert mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde auf die Art, wie er von den Kita-Verantwortlichen der senatorischen Behörde behandelt worden war. Der Streit schien gestern vergeben und vergessen: Wenigstens in der Tendenz signalisierten die Senatorinnen Zustimmung zu vielen Aspekten der Kritik des Bildungsforschers.
Absurde Pisa-Folge
Absurd findet Fthenakis, dass die Konsequenz der Bildungspolitiker aus den Pisa-Ergebnissen sich in der Einführung des Zentralabiturs erschöpfte. Unter Wissenschaftlern sei Konsens, dass die Weichen für die Bildungsprozesse im frühkindlichen Alter gestellt würden, erklärte er. Die weiterführenden Schulen könnten auch mit viel Geld kaum kompensieren, was im Alter zwischen null bis acht Jahren schief gelaufen ist.
Es sei bekannt, mit welchen Defiziten viele Kinder eingeschult werden, so Fthenakis. „Wir haben für diese Kinder nichts getan.“ Erzieherinnen für die Kitas werden aber nach wie vor weniger gut qualifiziert, mies bezahlt und sind schlechter angesehen als LehrerInnen. Er forderte für sie dieselbe qualifizierte Ausbildung.
Auch für die institutionelle Trennung von Kita und Grundschule gebe es kein pädagogisches Argument – auch das Konzept vom „schulreifen Kind“ nannte Fthenakis „absurd“. Spielen und Lernen seien kein Gegensatz. Elementarpädagogen müssten vor allem die emotionalen Lern-Kompetenzen der Kinder und ihre Lern-Neugier stärken. Es müsse ein gemeinsames Bildungskonzept für Kita und Schule geben.
Kontakt bereits kurz nach Geburt
Grundsätzlich zeigten alle wissenschaftlichen Untersuchungen, dass die Familie der einflussreichste Bildungsort ist. Diese zu stärken, bewirke daher mehr als schulische Kompensationsmaßnahmen. „Bildungspartnerschaft“ sei notwendig, so Fthenakis, die Kontaktaufnahme von Frühpädagogik-ExpertInnen mit der Familie müsste kurz nach der Geburt erfolgen.Fthenakis’ Resümee: Die Reformprojekte der letzten Jahre haben viel Geld gekostet und nicht viel bewirkt.
Ausgegangen war die Initiative für die Einladung von Fthenakis von dem grünen Bürgerschaftsmitglied Stephan Schlenker, einem früheren Kinderarzt – nicht von den verantwortlichen Senatorinnen. Das merkte man an ihren Stellungnahmen: Sie konnten nichts über konkrete Planungen sagen, sondern nur ihren guten Willen verkünden.
„Ja“, stimmte Bildungssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) zum Beispiel zu, es habe viele Projekte zur Reform des Verhältnisses von Kita und Schule gegeben, es sei aber die „Nachhaltigkeit nicht abgesichert“ worden.
Ergebnisse sind abgeheftet
Im Klartext: Bei den verantwortlichen Behörden wurden die Ordner mit den Ergebnissen der Reformprojekte nur im Archiv abgestellt. Nur wo einzelne engagierte Grundschulen aus den Reformprojekten Konsequenzen ziehen wollten, da passierte etwas, etwa rund um die Grundschule Buntentorsteinweg.
Eine ferne „Vision“, meinte Quante-Brandt, sei der gemeinsame Bildungsplan für Kita und Schule, das gehe nicht von heute auf morgen. Tatsächlich hat Fthenakis das in Bremen schon im Jahre 2004 eingefordert – ebenso wie die Notwendigkeit einer Hochschul-Qualifikation der Erzieherinnen.
Diese und die gleiche Bezahlung, so stellte die für die Kitas zuständige Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) fest, sei nicht in einem kleinen Bundesland, sondern nur einheitlich bundesweit durchzusetzen. Aber es reiche nicht, so räumte sie ein, an die Kitas außen „Kinder und Familienzentrum“ zu schreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ende des Assad-Regimes in Syrien
Syrien ist frei
„Kanzlerkandidatin“ der AfD
Propagandashow für Weidel
Argentinien ein Jahr unter Javier Milei
Arm sein im Anarcho-Kapitalismus
Journalist über Kriegsgefangenschaft
„Gewalt habe ich falsch verstanden“
Kürzungen im Kulturetat von Berlin
Gehen Kassiererinnen in die Oper?
FDP und D-Day
Staatstragende Partei, die von Kettensägenmassakern träumt