piwik no script img

Bilder aus wärmeren Zeiten

■ Szenen schwuler Nähe: Liebe! Stärke! Mitgefühl! eröffnet die Schauspielhaus-Saison

Sie stehen alle mit beiden Beinen nur noch auf dem Riesenfoto aus dem Album, das ihr vergangenes Leben dokumentiert: Bobby, Ramon, Buzz, die Zwillingsbrüder John und James, Gregory, Arthur und Perry sind allesamt längst aus dem Dasein gefallen, das sie einmal als großer Freundeskreis gemeinsam gelebt haben.

Damals, als noch alle da waren und keine Löcher ins Gewebe der Freundschaften gerissen waren, lud der Choreograph Gregory (Michael Wittenborn), die Truppe gern zu sich aufs Land ein. Dort spielten sich die Szenarien schwuler Nähe in Innigkeit und zickigem Streß ab.

„Die Dramaturgie hat das Stück gefunden“, erzählt der Schauspieler Gustav Peter Wöhler, der Terence McNallys Liebe! Stärke! Mitgefühl! zur Spielzeiteröffnung im großen Haus inszeniert. Nach szenischer Lesung war das Stück ein Riesenerfolg – bei den Schauspielern ebenso wie bei Wöhler, der es im Malersaal machen sollte. Nach der Erkrankung der Regisseurin Elke Lang fand Wöhler – der vorher nur zwei Inszenierungen in Kassel verantwortet hat – sich plötzlich im großen Haus wieder. „Es ist schon ein anderes Gefühl: Spielzeiteröffnung im großen Haus, mit einer deutschen Erstaufführung, das ist schon allerhand. Ich würde nicht sagen, daß es ein Druck ist, aber es lastet schon auf mir. Es ist eben etwas ganz anderes. Unser Glück war, daß wir mit den Vorbereitungen noch nicht besonders weit waren, als die Entscheidung getroffen wurde. Wir hatten über das Bühnenbild nur gesprochen und noch kaum mit den Proben begonnen. Dadurch konnten wir uns schnell umorientieren. Wir durften uns jetzt nicht mehr auf die Intimität des Malersaals berufen, sondern mußten mit der Weite des großen Hauses arbeiten.“

Ungewohnt war für den wunderbaren Darsteller und Sänger Wöhler auch die Arbeit mit einem Schauspielerteam, dessen Mitglieder er fast alle als direkte Kollegen kennt. In sieben Wochen Probenarbeit hat die reine Männergeschichte Form angenommen. „Es ist ein sehr filmisches Stück, manchmal dauert eine Szene nur zwei Minuten, und das nächste Bild ist in einem anderen Raum, zu einer anderen Zeit.“

Auf der vom großen Erinner-ungsfoto überdeckten Bühne Siegfried E. Meyers verdeutlichen Requisiten, Kleinigkeiten, ein Tisch, ein Badelaken, die Ortswechsel. Schnell und stringent zeigen die sieben Figuren ihr eigenes Leben als Stück im Stück - nachdenklich, komisch, aber nicht brüllkomisch. Von der Vergangenheit sind nur Erinnerungen geblieben. Im Jetzt fehlen die Stimmen der Verstorbenen. „Und eine Frage bleibt ganz deutlich“, sagt Wöhler: „Wo bleiben die Freunde, wenn man an Aids erkrankt?“

Thomas Plaichinger

Premiere: Mi, 25. September, 20 Uhr, Schauspielhaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen