Big brother II: Fisch oder Klopse
■ Datenschützer warnt im Jahresbericht für 1999 vor Kunden-Oberservation
Intelligente Mülleimer übernehmen die Herrschaft im Haushalt: Sie wissen, ob es Fischstäbchen oder Königsberger Klopse zu Mittag gab, wählen sich ins Internet ein und bestellen Nachschub. Dieses Szenario zeichnet der vom Bremer Senat bestellte Landesbeauftragte für den Datenschutz, Sven Holst, in seinem 22. Jahresbericht.
„Der Verbraucher wird gezielt aufs Korn genommen“, so der Datenschützer. Auch im Kaufhaus werde bald jeder Schritt der KundInnen nachvollziehbar sein, sobald man die Einkaufswagen mit elektronischen Chips ausrüste. Vor allem sind es aber die neuen Medien wie das Internet, die Holst Sorgen bereiten. Viele Nutzer würden die damit verbundenen Gefahren – etwa beim elektronischen Einkauf – gar nicht erkennen. Holst: „Keiner der Internet-Bürger weiß, wann, was und wie viel von ihm selbst abgesogen wird.“
Dadurch gerät jedoch etwas in Gefahr, das vom Bundesverfassungsgericht in den 80er Jahren als „informationelles Selbstbestimmungsrecht“ unter besonderen Schutz gestellt wurde: Jeder Bürger, jede Bürgerin soll selbst entscheiden können, wem man die Privatheit mitteilt – oder eben nicht. So interpretiert der Bremer Datenschützer dieses durch die Verfassung garantierte Recht. Hintergrund der Diskussion bildete damals die Volkszählung, die von vielen Menschen als Eingriff des Staates in ihre Privatsphäre empfunden wurde. Heute seien durch die rasante technische Entwicklung Gefahren dazugekommen, an die vor zehn Jahren noch keiner gedacht habe, so Holst.
Die private Wirtschaft bildet einen Schwerpunkt des 116 Seiten starken Berichts, den zum größten Teil noch der frühere Datenschutzbeauftragte Stefan Walz verfasst hat. Aus seiner Sicht gab es 1999 in Bremen etliche Fälle, die das informationelle Selbstbestimmungsrecht berühren. Da ist das Call-Center, in dem heimlich Gespräche aufgezeichnet wurden: Die Chefs hatten so den „Trainingsbedarf“ ihrer Mitarbeiter ermitteln wollen. Oder der Internet-Provider, bei dem man ohne Probleme fremde Adressen, Bankverbindungen und Passworte erfahren konnte.
Ein Bremer Ehepaar, das telefonisch Eintrittskarten für die Glocke bestellt hatte, beklagte sich über den Ticket-Service. Als das Paar seine Karten abholte, stellte sich heraus, dass Name, Adresse und Telefonnummer in der Datei generell nicht gelöscht werden können. Die zuständige Softwarefirma gelobte Besserung – irgendwann im Jahr 2000. Auch das BSAG-Pilotprojekt „Elektronisches Ticket“ wird von den Datenschützern kritisch beäugt.
Diese haben außerdem mit einiger Akribie im öffentlichen Bereich gestöbert, vor allem im Ressort „Inneres“. Hier stellen sie kritisch fest, dass mit dem Entwurf des neuen bremischen Polizeigesetzes versucht werde, jederman „polizeipflichtig“ zu machen – etwa bei Personenkontrollen. Die taz berichtete bereits von Planungen, öffentliche Plätze mit fest installierten Videokameras zu überwachen. „Es darf nicht passieren, dass jedermann als potentielles Sicherheitsrisiko eingestuft werden kann“, heißt es in dem Bericht, der heute in gedruckter Form vorliegen soll (Landesbeauftrager für den Datenschutz, PF 100380, 27503 Bremerhaven). Mit einiger Geduld kann man sich das Werk auch von der website der Stadt (www.bremen.de) herunterladen. hase
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