: „Bienenvölker duften herrlich“
Ramona Mai
Dass wir an diesem Tag mit Frau Mai reden, hat nichts mit ihrem Namen zu tun, sondern mit ihrem „zweiten Leben“, wie sie es nennt.Ramona Mai, 40 Jahre alt, hat sich nämlich erst mit 33 Jahren entschieden, dem Beruf nachzugehen, den sie gelernt hat: Imkerin. In der DDR aufgewachsen, machte sie zwar eine Ausbildung zur „Tierwirtin“, arbeitete dann aber als Buchhalterin, später als Steuerfachgehilfin. Heute lebt sie mit Mann und vier Kindern im Wedding, ihre Bienenstöcke stehen bei Oranienburg. Ein Gespräch über genialen Honig, vergiftete Pollen und ein Leben, das sich zum Guten gefügt hat
Interview ULRICH SCHULTE
taz: Frau Mai, klären wir erst mal die schmerzhaften Sachen. Wie oft werden Sie gestochen?
Ramona Mai: Immer. Jedes Mal, wenn ich bei den Bienenstöcken bin. Mal sind es mehr, mal weniger Stiche.
Wie bitte?
Das ist ja nicht schlimm. Der Körper baut mit der Zeit eine Immunität auf. Sehen Sie, der ist von gestern. Heute sieht man nur noch den kleinen roten Punkt am Finger.
Haben Sie Angst?
Die gehört dazu. Auch wenn sie unter Imkern totgeschwiegen wird, so ein bisschen machohaft. Letztens habe ich mich mit einem anderen Imker in meinem Alter unterhalten. Er gab zu, dass er sich manchmal fürchtet und war völlig überrascht, als ich meinte: „Klar, ich auch.“ Wenn man sich an den Stöcken falsch verhält, werden die Bienen nervös, man selbst wird unruhig und so weiter. So was kann sich aufschaukeln, Imkerkollegen hatten auch schon böse Unfälle.
Was machen Ihre Bienen gerade?
Natürlich fliegen sie schon, wie immer, wenn es über zehn Grad warm ist. Sie sammeln Frühlingspollen, also Erle, Haselnuss, Weiden und so weiter – die Pollen dienen als proteinhaltiges Futter. Außerdem müssen ja auch Bienen mal koten und Wasser holen.
Viel Honig fällt noch nicht ab, oder?
Richtig, die erste Tracht – also das erste reichliche Nahrungsangebot – ist die Obstblüte, dann folgt der Raps. Das eigentliche Bienenjahr beginnt erst im Juli. Ab dann bereiten sich die Völker auf den Winter vor und produzieren Winterbienen. Eine Sommerbiene lebt nur sechs Wochen, aber die Tiere, die die kalte Zeit überstehen müssen, schaffen vier Monate. Gleichzeitig produziert das Volk Honig als Vorrat, das ist Blütennektar, den die Biene in ihrer Honigblase transportiert und in Waben eindickt.
Die meisten Imker der Region sind Männer, viele jenseits der 60. Sind Sie eine Ausnahme?
Schon, jüngere Imker sind tatsächlich selten. Meine Familie arbeitet seit fünf Generationen mit Bienen. Ich saß schon mit drei Jahren bei meinem Vater und seinen Stöcken, nur in meinem Spielhöschen. Meine Mutter war immer völlig aufgelöst, aber das sind meine schönsten Kindheitserinnerungen. Als ich zehn Jahre alt war, durfte ich schon eigene Völker pflegen, und – ganz wichtig – den Gewinn behalten. Zu DDR-Zeiten eine lukrative Sache. Aber dass ich jetzt wieder bei den Bienen gelandet bin, ist für mich mein zweites Leben – obwohl ich gelernte Imkerin bin.
Wie sah Ihr erstes Leben aus?
Nach der 10. Klasse habe ich die Ausbildung zur „Tierwirtin mit Spezialisierung Imkerei“ gemacht, in dem Bieneninstitut Hohen Neuendorf. Das war ein Klacks, denn ich hatte vorher alles von meinem Vater gelernt. Schon damals hatte es einen Namen als Forschungsinstitut, manchmal kam das Fernsehen. Aber wenn ich mir die Bienenvölker anschaute, dachte ich: Hm, nun ja.
Warum haben Sie danach nicht als Imkerin gearbeitet?
Die Verhältnisse waren nicht so. Ich habe mit 18 geheiratet, mein Mann hatte keinerlei Interesse dafür, außerdem fehlte ein Grundstück. Ich studierte im Anschluss „Saat- und Pflanzgut“, habe aber danach als fertige Agraringenieurin schlechter verdient als ein Facharbeiter. Wir lebten schließlich in einem Arbeiterstaat. Inzwischen hatten wir ein Kind, das ging finanziell überhaupt nicht. Deshalb bin ich in einen Buchhalterjob gewechselt. Nach der Wende schulte ich zur Steuerfachgehilfin um. Das war überhaupt nicht mein Ding. Aber ich brauchte Geld, zwischendurch kam die Scheidung, deshalb habe ich es fünf Jahre ausgehalten. Dann habe ich meinen neuen Mann kennengelernt, er ist Franzose. Er hat sich mit einem Käsehandel selbstständig gemacht, ich mich mit meiner Imkerei.
Was gibt Ihnen die Arbeit mit Bienen?
Ich erzähle Ihnen am besten ein Beispiel. Anfang des Jahres war ich stark erkältet, fühlte mich total mies. Dann, zum Saisonstart, konnte ich endlich wieder an die Bienen. Der herrliche Geruch! Bei den Bienenvölkern riecht es ganz intensiv nach Propolis. Das hat mir wahnsinnig gut getan, die Erkältung war schnell weg.
Propolis?
Entschuldigung, das ist ein Kittharz. Die Tiere sammeln es an Knospen von Kastanien oder Pappeln und verkitten damit die Ritzen in ihrem Stock. Es wirkt antibakteriell und dichtet gut ab.
Wie viele Völker besitzen Sie?
Das schwankt zwischen 25 und 30. Für mich ist das ein Nebenerwerb, erst ab 100 Völker gilt man als Berufsimker. Mehr würde ich aber nicht schaffen. Ich habe vier Kinder und arbeite auch weiterhin ein bisschen in einem Büro.
Ist es ein guter Nebenverdienst?
Ja.
Nämlich?
Darüber redet man nicht, kein Imker lässt sich gerne in die Karten gucken.
Wie viel Honig produzieren Sie denn im Jahr?
Auch das erzähle ich noch nicht mal Imkerkollegen. Bei den Anglern ist es genau andersherum: Die Fische werden immer größer, bei uns Imkern werden die Honigmengen immer kleiner. Schon in den Büchern geht dieses Tiefstapeln los: Glaubt man den Angaben, braucht man mit Bienen gar nicht anzufangen, weil es sich nicht lohnt. Wegen der Verschwiegenheit der Imker kommt man übrigens auch beim Thema Völkerverluste nicht zu Potte. Niemand gibt gerne zu, dass ihm Völker wegsterben …
… dennoch ist dies gerade ein großes Thema, wenn man sich unter Imkern umhört. Haben auch Sie Völker verloren?
Ja, im Jahr 2002/2003 fast die Hälfte. In der Nähe unserer Stöcke steht viel Mais und Raps. Also genau die Pflanzen, die gebeizt werden. „Beizen“ ist ein Pflanzenschutzverfahren, bei dem bereits das Saatgut mit Gift präpariert wird.
Dessen Wirkung auf Bienen ist in Deutschland aber umstritten.
Mein Mann hat sich seit unseren Winterverlusten stark mit Beizmitteln beschäftigt und auch Kontakte zu französischen Imkern geknüpft. Studien des dortigen Imkerverbands haben klar belegt, dass diese Mittel für Bienen schädlich wirken. Nur hier interessiert das keinen Menschen. Dabei geht das Bienensterben wieder los. Dieses Jahr gibt es wieder massive Verluste, das bestätigen uns auch Imker aus Süddeutschland.
Die wissenschaftlichen Institute, auch das in Hohen Neuendorf, halten den Zusammenhang für nicht klar belegt.
Sehen Sie, die Institute müssen von irgendwas leben. Die Forschung über Schädlinge, vor allem die Varroa-Milbe, ist eine wichtige Geldquelle. Gerade Hohen Neuendorf kriegt Millionen dafür, dass sie die Milbe erforschen. Wenn die jetzt plötzlich kein Problem mehr wäre – was ist dann mit den Instituten?
Können Sie den Vorwurf gegen die Beizmittel aus ihrer Alltagserfahrung belegen?
Das ist schwierig. Die Bienen sind auf dem Feld, verlieren die Orientierung und finden nicht mehr zurück. Am Stock stellt man nur fest: Die Völker werden schwächer, entwickeln sich nicht, brüten wie verrückt und haben trotzdem keine Bienen. Im Sommer füttern sie die Brut mit verseuchten Rapspollen, und die Jungbienen sind vergiftet und schwach, wenn sie auf die Welt kommen.
Wie stirbt ein Volk?
Manche Kästen sind leer. Manche Völker sind sehr schwach, weil die Bienen nicht mehr zurückkommen. Als wir mit unseren Stöcken im Oderbruch noch in die Sonnenblume wanderten, war es besonders schlimm. Dort sind Mais- und Sonnenblumenfelder gebeizt.
Wo stehen Ihre Völker jetzt?
Wir haben bei Oranienburg einen tollen Standort gefunden. Es ist alles da, was wir brauchen: Frühlingsblüte, Raps, Robinien und Linde.
Wie oft kann man eigentlich Honig aus dem Stock nehmen?
Das kann man je nach Tracht schon alle zwei, drei Wochen machen, dann ist die Kiste voll. Natürlich versuchen wir, nach einer Blütephase zu leeren, damit wir reinen Sortenhonig bekommen.
Sammeln die Tiere denn tatsächlich nur von einer Sorte?
Bienen sind sehr blütenstet. Wenn’s eine Blüte reichlich gibt, fliegen sie die auch bevorzugt an. Deshalb bestäuben sie auch so gut. Stellt man seine Stöcke zum Beispiel auf eine Obstbaumwiese und alles blüht, dann fliegen sie von Apfelblüte zu Apfelblüte.
Ein treues Tier.
Ja, obwohl auch in Sortenhonigen meist die Hälfte von anderen Blüten kommt. Raps ist die Ausnahme, weil er auf riesigen Feldern angepflanzt wird. Mit dem Raps ist es sowieso so eine Geschichte. Der Honig kristallisiert sehr schnell und fest aus. Wenn die Bienen zum Beispiel zu Rubinienhonig, der eigentlich flüssig ist, ein bisschen Raps sammeln, wird er fest. Das ordentlich zu trennen, ist schon die hohe Kunst des Imkerns.
Haben Sie einen Lieblingshonig?
Ich mag die hellen am liebsten. Also Raps und Frühlingsblüte, die ersten. Aber Honig ist nicht gleich Honig. Für viele Imker ist Entspannung die Hauptsache, Honig nur das Nebenprodukt. Sie halten sich Bienen, weil sie die Tiere lieben, so wie andere sich Kaninchen halten. Der Honig ist Abfall und wird so behandelt: Er wird erwärmt, in Gurkengläser abgefüllt, ohne Etikett, überhaupt nicht liebevoll. Manche erhitzen ihn gar über 40 Grad, der Zucker karamellisiert und der Honig sieht dunkel aus. So wird aus jedem Honig ein Waldhonig. Der Kunde findet das toll, kauft aber letztlich wertlose Pampe.
Sie machen das natürlich anders.
Natürlich. Mein Mann hat Koch gelernt, ihm liegt Lebensmittelqualität am Herzen. Gemeinsam haben wir unsere Verarbeitungstechnik ausgefeilt. Norddeutsche Honige sind generell vom Raps dominiert, sie werden also schnell fest. Damit sie nicht grob kristallisieren, kann man sie rühren. Dann werden sie wunderschön cremig, einfach genial. Man kann auch einen flüssigen Honig, Linde zum Beispiel, mit Rapshonig impfen, dann bekommt man das gleiche Ergebnis. Mein Mann beherrscht das wie kein anderer – er hat ein spezielles Rührgerät an eine Bohrmaschine montiert.
Wie verkaufen Sie ihren Honig?
Wir stehen mit unserer Imkerei Maiblume auf Wochenmärkten, unser Hauptverkauf ist samstags der Kollwitzplatz. Aber der Absatz bricht ein, die Leute geben eben nicht mehr so viel für Lebensmittel aus. Deshalb probieren wir jetzt etwas Neues aus, im Naturschutzgebiet Schorfheide. Mein Mann hat in Büchern ein 150 Jahre altes System der Bienenhaltung entdeckt. Bienen in freier Wildbahn leben ja in hohlen Bäumen und kleiden sie von oben nach unten mit Waben aus. Das kann man mit Holzkästen nachbauen. Unten schiebt man ab und zu ein leeres Fach drunter, oben nimmt man die mit Honig gefüllten Fächer ab. Die Bienen sind völlig sich selbst überlassen. Mit diesem Honig wollen wir in die Bio-Läden – auch als Rückversicherung für den Fall, dass die anderen Völker wegen der Beizmittel auch sterben.