Zurück zur alten Überheblichkeit darf es nicht gehen. Aber es wäre schon was, wenn es Biden gelingt, den Rassismus etwas weniger akzeptabel zu machen.
Alles eitel jetzt? Das wird man sehen, aber erstmal lässt Joe Biden hoffen
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Die USA haben einen neuen Präsidenten. Endlich. Endlich. Länger schien eine Übergangsphase noch nie gedauert zu haben. Dem Vorgänger haben alle Versuche, sich im Amt festzukrallen, nichts genutzt. Am Ende war es, als ob aus einem Ballon die Luft herausgelassen worden wäre – müde pfeifend, nicht etwa mit einem Knall. Es war einfach nicht mehr interessant, was Donald Trump noch zu sagen hatte. There is a new sheriff in town, die Stadt hat einen neuen Sheriff. Joe Biden.
Mit ihm tauchen plötzlich fast vergessene Begriffe wieder aus der Versenkung auf, schöne Begriffe. Würde. Freiheit. Respekt. Und, natürlich: Demokratie.
Nach vier Jahren, in denen blanker Zynismus herrschte, ist das eine Erleichterung. Unabhängig davon, ob Einzelne wie Joe Biden oder eine Nation wie die USA ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden können: Es ist wunderbar, wenn sich Leute mit sehr unterschiedlichen politischen Vorstellungen hinsichtlich von Werten auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können.
Einerseits. Und nichts spricht dagegen, sich einen Abend lang einfach zu freuen. Andererseits: In die Feierlichkeiten hat sich ein altvertrauter Ton eingeschlichen, den Liberale in den USA jahrelang aus gutem Grund nicht angeschlagen hatten. „Amerika“ – soll heißen: die USA – als Vorbild für die Welt, als unangefochtene moralische Instanz.
Das Leitbild war immer verlogen
Bitte, können wir das auch künftig hinter uns lassen? Es gibt keine Rückkehr zu dem, was jahrzehntelang als „Normalität“ galt. Nämlich zu dem Leitbild der Vereinigten Staaten als Ort der idealen Demokratie, innerhalb und außerhalb des Landes. Dieses Leitbild war immer verlogen. Wenn es darum geht, eine Lehre aus den letzten Jahren zu ziehen, dann die: ein bisschen Demut ist angebracht.
Die Demokratie habe gesiegt, behauptete US-Präsident Biden am Fuß der überlebensgroßen Statue von Abraham Lincoln. Na ja. Warten wir mal ab.
Immerhin: Die ganzen Feierlichkeiten waren erkennbar von einem Leitmotiv getragen. Nämlich dem, dass Rassismus keinen Platz mehr haben soll, haben darf in der Gesellschaft. Weiße Künstlerinnen und schwarze Künstler, eine Vizepräsidentin, die eine andere Hautfarbe hat als die tonangebende Schicht in den Vereinigten Staaten und all das ganz selbstverständlich. Ohne Getue. Wunderbar.
Wer ist das Kabinett Biden?
Präsident Joseph Biden – so alt wie er war noch kein Präsident beim ersten Amtseid. Der 78-Jährige aus dem Zentristenlager der Demokraten mit fünf Jahrzehnten Politikerfahrung und mehreren Kandidaturanläufen will das Land und die Partei einen.Alle Texte und Recherche: Bernd Pickert
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Vizepräsidentin Kamala Harris – die 56-jährige Tochter einer Inderin und eines Jamaikaners ist die erste weibliche und die erste Schwarze Vizepräsidentin. Die Ex-Staatsanwältin bereitet sich darauf vor, im Jahr 2024 selbst zur Präsidentschaftswahl anzutreten.
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Außenminister Antony Blinken – der 58-jährige Multilateralist war schon in die Außenpolitik der Clinton- und federführend der Obama-Regierung eingebunden. Er gilt als einer der Architekten des Atomabkommens mit dem Iran, das Biden wiederbeleben will.
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Finanzministerin Janet Yellen – die herausragende 74-jährige Ökonomin war schon unter Obama die erste weibliche Chefin der Notenbank Fed und das sehr erfolgreich. Trump warf sie trotzdem hinaus. Jetzt wird sie die erste Finanzministerin.
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Verteidigungsminister Lloyd Austin – der 67-jährige pensionierte Viersternegeneral wird der erste Schwarze an der Spitze des Pentagons. Kritik: Eigentlich sollten Zivilisten dem Ministerium vorstehen, zudem war Austin zeitweise als Rüstungslobbyist tätig.
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Justizminister Merrick Garland – die juristischen Qualifikationen des 68-Jährigen sind so unstrittig, dass Obama ihn als obersten Richter wollte. Das ließ der republikanische Senat nicht zu. Jetzt wird Garland womöglich Trump wegen dessen Verfehlungen anklagen.
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Innenministerin Deb Haaland – die Nominierung der 60-jährigen Abgeordneten aus New Mexico ist ein starkes Zeichen, wird sie doch die erste US-Indigene in einem Kabinett. Biden erfüllt damit die Forderung einer breiten progressiven Koalition.
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Agrarminister Tom Vilsack – der 70-jährige Ex-Gouverneur von Iowa, der 2008 selbst erfolglos versucht hatte, Präsidentschaftskandidat zu werden, war acht Jahre lang unter Obama Agrarminister. Jetzt holt ihn Biden in gleicher Funktion zurück.
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Handelsministerin Gina Raimondo – wirtschaftsfreundlich ist das wohlwollende Wort für die 49-jährige Gouverneurin von Rhode Island, die aus dem Investmentgeschäft kommt. Ihre Beliebtheit im eigenen Bundesstaat stieg erst 2020 mit der Coronakrise.
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Arbeitsminister Marty Walsh – schon 21-jährig trat der derzeitige Bürgermeister von Boston in die Gewerkschaft ein und war lange Funktionär. Konservative sehen den heute 53-Jährigen als radikalen Linken; manche Linke hätten lieber Bernie Sanders auf dem Posten.
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Gesundheitsminister Xavier Becerra – der 62-jährige Jurist mit mexikanischen Eltern war der Nachfolger von Kamala Harris als Staatsanwalt von Kalifornien. Der langjährige demokratische Abgeordnete gilt als strikter Verfechter des Rechts auf Abtreibung.
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Wohnungsministerin Marcia Fudge – die 68-jährige progressive Abgeordnete aus Ohio und frühere Chefin des Black Caucus im Repräsentantenhaus wollte eigentlich Agrarministerin werden. Jetzt muss sie das Problem der gefürchteten Zwangsräumungen angehen.
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Transportminister Pete Buttigieg – er war der erste offen schwule Präsidentschaftskandidat, der im Jahr 2020 eine Vorwahl gewinnen konnte. Jetzt wird der 39-jährige Ex-Bürgermeister aus Indiana der erste offen schwule Minister der US-Geschichte.
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Energieministerin Jennifer Granholm – die 61-jährige Ex-Gouverneurin von Michigan meint es ernst mit der Energiewende. So ernst, dass sie eine Menge Interessenkonflikte mit Beteiligungen an Solar- und E-Mobilitätsunternehmen hat. Das wird ein Problem.
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Bildungsminister Miguel Cardona – der 45-jährige Sohn puertoricanischer Eltern, der in Connecticut mit Spanisch als Muttersprache aufwuchs, hat sein Leben im Schuldienst verbracht. Anders als seine Vorgängerin gilt sein Interesse dem öffentlichen Schulwesen.
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Veteranenminister Denis McDonough – schon lange ist der 51-Jährige in führenden Beraterfunktionen Teil des Politbetriebs, zuletzt in der Obama-Regierung, immer unsichtbar in der zweiten Reihe. Jetzt wird er der zweite Veteranenminister ohne eigene Kriegserfahrung.
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Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas – der 61-jährige, in Kuba geborene Jurist und frühere Staatsanwalt wird der erste Latino an der Spitze des Heimatschutzministeriums. Ob Bidens ehrgeizige Pläne der Migrationsreform Erfolg haben, wird auch an ihm hängen.
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Stabschef Ron Klain – Stabschefs brauchen Insiderwissen und das Vertrauen des Präsidenten. Der 59-Jährige hat beides: Er ist seit 30 Jahren in Washington, hat mehrere Wahlkämpfe organisiert und war schon Bidens Stabschef als Vizepräsident.
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Handelsrepräsentantin Katherine Tai – die 45-jährige Tochter chinesischer Immigrant*innen spricht fließend Mandarin, arbeitete lange als Handelsexpertin für das Repräsentantenhaus und gilt als Pragmatikerin mit Engagement für Arbeitnehmerrechte.
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Geheimdienstdirektorin Avril Haines – die künftige erste weibliche Geheimdienstdirektorin kam unter Obama als CIA-Vizechefin zu zweifelhaftem Ruf. Als Verfechterin der Drohnenmorde zensierte die heute 51-Jährige auch den Senatsbericht über CIA-Folter.
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Chef der Umweltbehörde Michael Regan – anders als seine Vorgänger unter Trump kommt der 44-Jährige aus dem Umweltschutz, hat ein entsprechendes Studium abgeschlossen und Erfahrungen gesammelt. Auch will er die Behörde, die er leitet, nicht zerstören.
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Sicherheitsberater Jake Sullivan – der 44-Jährige, der in Yale und Oxford Internationale Politik studierte, gehört zu Hillary Clintons innerem Zirkel. Dem früheren Vizepräsidenten Biden diente er ab 2013 als Nationaler Sicherheitsberater. Jetzt ist er aufgerückt.
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Etatbeauftragte Neera Tanden – die 50-Jährige hat, sofern man in den USA davon sprechen kann, eine Parteikarriere hinter sich. Seit 1988 gestaltet sie Wahlkämpfe der Demokraten, arbeitete zuletzt beim parteinahen Thinktank Center for American Progress.
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UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield – nach fast vier Jahrzehnten im diplomatischen Dienst warf Trump die 68-Jährige 2017 hinaus – als Teil seiner „Säuberung“ des State Departments. Nun wird sie das zweitwichtigste außenpolitische Gesicht der USA.
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Wirtschaftsberaterin Cecilia Rouse – Joe Biden stellte die 57-jährige Ökonomin mit Harvard-Abschluss als „Expertin für Arbeitsökonomie, Rassismus, Armut und Bildung“ vor. Jetzt wird sie erste Schwarze Wirtschaftschefberaterin.
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Klimabeauftragter John Kerry – der 77-Jährige ist die Personalie, die niemand nachschlagen muss. Dass der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Außenminister die Klimapolitik in die Hand nehmen soll, ist als klares Zeichen der Priorisierung gemeint.
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Wissenschaftsberater Eric Lander – der 63-jährige MIT-Mathematiker hat zwar schon Obama beraten, politisch aber kaum Profil gezeigt. Das passt zu Bidens Ansage, mehr auf die Wissenschaft hören zu wollen. Er gibt dem Posten jetzt Kabinettsrang.
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Natürlich macht eine Schwalbe – und machen 200 Schwalben – noch keinen Sommer. Aber wenn es Joe Biden gelingen sollte, den alltäglichen Rassismus in den USA ein bißchen weniger akzeptabel zu machen, dann wäre alleine das ein guter Grund, auf der Straße zu tanzen. Denn es hätte wohl eine Wirkung, die über die Vereinigten Staaten hinausreichen könnte und würde. So stark ist ihr Einfluss eben doch noch immer. Also: hoch die Tassen!
Zumal – und das sollte nicht vergessen werden – sich die rechtsextremen Rassisten offenbar doch nicht stark genug fühlten, um einen Angriff auf irgendein staatliches Symbol zu unternehmen. Das bedeutet nicht, dass sie plötzlich jede Kraft verloren hätten. Aber sie müssen wenigstens kurz nach Luft schnappen. Erfreulich.
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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
Würde. Freiheit. Respekt. Demokratie. Und ein weiterer Begriff kommt von Biden immer wieder: Anstand (decency), und Referenzen zu Martin Luther King, den Biden ganz klar als mächtiges Vorbild ansieht. Gut so. Die Wahl Bidens war ein Aufstand der Anständigen. Rassismus ist einfach nur unanständig und es ist gut, dass das auch immer mehr Amerikanern klar wird.
RS
Ria Sauter
Wie es ausschaut,Frau Gaus,wird aus Ihrer Hoffnung nichts.
Biden hat genau in diese Töne eingestimmt, die USA ist die größte und friedlichste Demokratie der Welt und Russland der böse, große Feind!
Ich verstehe nicht, auf welchen Teil des Kommentars Sie sich beziehen, wenn Sie von der Hoffnung der Autorin schreiben. Ich lese in dem Text genau Ihre eigene Kritik darüber, dass sich die USA, auch unter Biden, als moralisch überlegene Instanz darstellen. Über die Haltung des Präsidenten zum amerikanisch-russischen Verhältnis schreibt Frau Gaus wiederum gar nichts.
Trotz aller angebrachten Kritik an den USA und Joe Biden, kann ich Ihren Negativismus nicht nachvollziehen. Der zutiefst menschenverachtende und weit verbreitete Rassismus der White Supremacists ist eines der massivsten Probleme der Vereinigten Staaten (Spike Lee hat in "BlacKkKlansman" deutlich gemacht, dass mit Trump ein inoffizieller Vertreter oder Sympathisant des KuKluxKlan Präsident wurde).
Der Rassist Trump ist nach vier quälenden Jahren abgewählt und der neue Präsident wendet sich glaubhaft, und bereits bezeugt durch einige seiner ersten Amtshandlungen, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
Man muss die US-amerikanische, mit Pathos überladene Politshow nicht gut finden, aber das ist trotz allem ein Grund für Hoffnung, Freude und Erleichterung.
Von Russland hat Biden gar nicht gesprochen. Ansonsten war da viel Bescheidenheit.
Den meisten US-Amerikaner ist doch auch klar, dass vieles in ihrer Geschichte nicht so gut lief und läuft. Aber ein Ideal, ein Ziel zu haben, ist erstmal nichts Schlechtes.
Und man muss es (leider) immer wieder betonen: Sie haben Deutschland großzügig beim Wiederaufbau geholfen und beim Erlernen der Demokratie. Das sollte man nicht ganz vergessen.
Aber auch Biden ist amerikanischer Präsident wie es auch Obama war, und nicht alles wird uns gefallen.
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