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Archiv-Artikel

Bibliophile Backsteine

Der Taschen Verlag beweist, dass mit der Heiligen Schrift noch Geld zu machen ist. Ein Nachdruck der wuchtigen Lutherbibel von 1534 wird zum Bestseller

von PHILIPP GESSLER

Auch wenn momentan wegen des Krieges im Irak wieder mehr Menschen als sonst in die Kirchen gehen und den uralten Sätzen der Heiligen Schrift lauschen: Das von den Kirchen heuer ausgerufene „Jahr mit der Bibel“ – das zweite nach 1992 – weckt kaum mehr als „betulichen Aktionismus“ (Publik-Forum). Das Bibeljahr wird wohl verpuffen – womöglich haben es die Amtskirchen nur ausgerufen, weil sie sonst nicht wüssten, wie sie ihrem Bedeutungsverlust beikommen könnten …

Aber nun gibt es ein bibliophiles Projekt zu bestaunen, das die Heilige Schrift plötzlich wieder zu einem Bestseller macht: Der Taschen Verlag, der gewöhnlich sein Geld mit Hochglanzerotik für Kunstsinnige verdient, hat die vollständig kolorierte Lutherbibel des Jahres 1534 nachgedruckt, faksimiliert in zwei backsteingroßen Bänden.

Die über 1.800 Seiten, erschienen in Wittenberg, umfassten die erste so genannte Vollbibel, die der von Rom abtrünnige Priester Martin Luther in deutscher Sprache herausbrachte – ein Meilenstein in der Geschichte des Deutschen, der Buchdruckkunst und der Reformation zugleich.

Von den rund vierhundert Originalexemplaren, die es noch heute gibt, war eines komplett koloriert und mit 128 Holzstichen und etwa 1.800 Initialen versehen. Sie wurde gefertigt in der Werkstatt von Lucas Cranach. Diese Ausgabe wurde mit einem neuen, computergestützten Verfahren kopiert (samt zweier im Laufe der Jahrhunderte darin platt gepresster Fliegen) – und für 99,99 Euro auf den Markt geworfen. Heraus kam ein „Sensationserfolg“, wie eine Verlagssprecherin sagt. Selbst der Spiegel, christlichem Druckwerk gewöhnlich distanziert gegenüberstehend, schwärmt: „Da ist sie also wieder: die Bibel als unschlagbarer Schmöker.“ Wo liegt der Reiz der Ausgabe?

Da sind zuerst die Holzschnitte des Monogrammisten MS, eines Cranachmitarbeiters – nur sein Kürzel ist bekannt, mehr nicht. Er hat den Quellen zufolge offenbar direkt mit Luther zusammengearbeitet. Seine bewegten, das Wesentliche der biblischen Geschichten zeigenden Bilder sind ein Genuss. Prächtig seine Illustrationen – von der Anbetung des Lammes Gottes im Himmel bis zur Erscheinung des siebenköpfigen Tieres aus dem Meer nach der Offenbarung des Johannes.

Teilweise wortwörtlich, gemäß der Betonung der Schrift durch die Reformatoren, hat MS die Szenen der Bibel bebildert – als wenngleich naiv-unreflektierte Pop-Art sozusagen: Das Rote Meer ist dementsprechend rot. Und die nach Pfingsten in vielen „Zungen“ redenden Apostel haben, klar, rote, grüne, gelbe Zungen. Wenn Luther in Ermangelung eines passenden deutschen Wortes für die Arche Noah nur das Wort „Kasten“ findet, so malt MS eben einen solchen, auf den es bei der Sintflut wie in Bindfäden regnet.

Zugleich ist zu sehen, wie damals Geld gespart wurde: Vier der Briefe des Paulus im Neuen Testament werden jeweils mit dem gleichen Holzstich bebildert – voneinander abgehoben nur durch die jeweils andere Farbe seines Gewandes. Zu finden sind auch Sticheleien gegen papsttreue Christen: So hat beispielsweise die „große Hure von Babylon“ auf dem Rücken des siebenköpfigen Tieres eine päpstliche Tiara an.

Was an diesem Reprint aber vielleicht noch mehr zu faszinieren vermag als die eindrucksvollen Holzstiche, ist die Sprache Luthers. Der Reformator und große Übersetzer, aus dem Griechischen wie aus dem Lateinischen, wählte die Sprache der sächsischen Kanzlei in der Hoffnung, dass er damit in allen deutschen Landen verstanden werden würde. Das haute zwar nicht überall hin, und der Sprache Luthers merkt man beim Lesen sehr wohl die fast fünfhundert Jahre an, die sie auf dem Buckel hat. Andererseits kann man sich ihrer Kraft noch heute kaum entziehen: Hier war ein Meister des Wortes tätig.

Sein Leben lang rang Luther bei seinen immer wieder neuen Übersetzungen der biblischen Bücher um die bessere Übersetzung, den treffenderen Ausdruck – teilweise wochenlang, wie er selbst schrieb. In unsere Alltagssprache eingegangene Ausdrücke wie „Rat und Tat“ und „singen und klingen“, aber auch „dein Stecken und Stab“ und das klassische „Der Herr ist mein Hirte“ aus dem Psalm 23 zeugen davon, wie erfolgreich Luther am Ende damit war, den Deutschen (und nicht ihren Gelehrten) die Heilige Schrift nahe zu bringen: ohne je zu einem Ende zu kommen.

Das Geheimnis der Lutherbibel und der Kraft ihrer Sprache mag so beschrieben werden: Es liegt in der Freiheit, den Text der Bibel in die aktuelle Sprache der Zeit zu übertragen.

Oder wie es Luther formulierte: „Denn man mus nicht die buchstaben inn der lateinischen sprachen fragen / wie man sol Deutsch reden / wie diese esel thun / sondern / man mus die mutter im hause / die kinder auff der gassen / den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen / vnd den selbigen auff das maul sehen / wie sie reden / vnd darnach dolmetzschen / so verstehen sie es denn / vnd mercken / das man Deutsch mit jn(nen) redet.“

Vielleicht wäre dies ein Weg, um das „Jahr der Bibel“ populärer zu machen.

PHILIPP GESSLER, 36, Redakteur im Berlinressort der taz, begann im Alter von fünf Jahren mit dem Bilderstudium der Heiligen Schrift