Bezirksamt stoppt Anwohner-Grün: Unser Kiez soll schnöder werden
In Treptow-Köpenick begrünen Bürger ihren Kiez mit Sonnenblumen, Stiefmütterchen und Farnen. Doch das Tiefbauamt reißt die Holzzäune, die die Pflanzen schützen sollen, wieder raus.
Der Kungerkiez ist ein Stück Idylle in Treptow. In dem Viertel, das direkt an Kreuzberg und Neukölln grenzt, säumen kleine Geschäfte die Straßen: Bäckereien, Zeitungs- und Blumenläden, Cafés. Zur Idylle trägt auch bei, wenn die Nachbarschaft gemeinsam die kahlen Flächen rund um die Bäume bepflanzt, diese wenigen Quadratmeter meist totgetretener Erde. "Man gärtnert ein wenig auf dem Bürgersteig herum, Leute bleiben stehen, man kommt ins Gespräch … Das hat auch einen sozialen Faktor, man lernt sich besser kennen", meint Luigi Lauer, einer der engagierten Anwohner.
Ein kleiner Holzzaun soll die Pflanzen davor schützen, dass Fußgänger sie niedertrampeln. Doch nach Ansicht des Bezirks ist der Schutz eine Gefahr - für die Fußgänger, die darüber stolpern könnten. Daher hat das Tiefbauamt in der vergangenen Woche eine Reihe der Zäune wieder herausgerissen. Bernd Schmidt, stellvertretender Leiter des Tiefbauamtes Treptow-Köpenick: "In der Dunkelheit können sich Fußgänger an den Zäunen verletzen. Wir als Bezirk sind haftungspflichtig, daher haben wir die Zäune entfernen lassen."
Michael Schmitz von der Kungerkiezinitiative e.V. findet, das seien "vollkommen irrsinnige Vorwände". Die Zäune hätten noch niemandem geschadet. "Da gibt es ganz andere Gefahren wie kaputte Bürgersteige oder Schlaglöcher in den Straßen." Anwohner Luigi Lauer ist - wie viele andere - empört. "Wenn die Flächen nicht mehr durch Zäune geschützt sind, wird es auch bald keine Pflanzen mehr darauf geben", fürchtet er.
Andere Bezirke unterstützen das Engagement ihrer Bürger für eine grüne Straße. In Friedrichshain-Kreuzberg können Anwohner sich sogar offiziell beim Bezirksamt als Pate einer Baumfläche anmelden. Dadurch wird ihnen auch von der BSR die Verantwortung für die Reinigung der Fläche übertragen. "In der Regel gehen Zäune in Ordnung, solange sie genügend Abstand zur Straße haben und eine Höhe von 60 Zentimetern nicht überschreiten", erklärt Bernd Samson vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. "Insgesamt haben wir sehr viele positive Erfahrungen mit den Patenschaften gemacht." Von Schadenersatzklagen verletzter Bürger habe er noch nicht gehört. Auch Neukölln, Charlottenburg-Wilmersdorf oder Pankow fördern solche Bürgerinitiativen.
Das Tiefbauamt Treptow-Köpenick lässt sich davon nicht beeindrucken. "Was andere Bezirke machen, weiß ich nicht", winkt eine Mitarbeiterin ab, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. "Für uns gilt nur: Diese Begrünungsmaßnahmen mitsamt Umzäunung greifen ins öffentliche Stadtbild ein und stellen Gefahren dar. Dies ist nicht erlaubt und kann auch unter keinen Umständen erlaubt werden." Doch so einfach lassen sich die Kiezbewohner nicht abspeisen. "Wir werden uns auch in Zukunft dafür einsetzen, unseren Bezirk zu verschönern", sagt Michael Schmitz von der Kungerkiezinitiative. Und auch Lauer pflichtet ihm bei: "Die Stadt gehört auch uns Bürgern, nicht nur den Ämtern."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin