Bewerberandrang bei Merkel-Nachfolge: CDU fast wie einst bei den Piraten
Zwölf Bewerber wollen Parteichefin Angela Merkel beerben. Damit setzt die CDU neue Maßstäbe – und ähnelt ein bisschen der Piratenpartei.
„Ziehe viele darüber zurate, was du tun sollst, aber teile nur wenigen mit, was du ausführen wirst.“
Es ist rund 500 Jahre her, dass der Staatsphilosoph Niccolò di Bernardo dei Machiavelli diesen Satz so oder vielleicht auch nur so ähnlich gesagt haben soll. Machiavelli gilt vielen als böser Realo, als kalter Analytiker der Macht, der sich weniger darum scherte, was moralisch geboten sein könnte, und dafür mehr darum, was geboten war. Zur Herstellung, zur Sicherung und zum Erhalt von Macht.
Dieser sein kühler, fürstengleicher Blick auf politisches Geschehen vieler Art vermochte es in den folgenden 500 Jahren nach seinem Ableben immer wieder, Relevanz zu entfalten. Machiavelli, das ist so eine Art Markenname, so eine Art Gebrauchsanweisung.
Friedrich Merz, der Anwalt mit den vielen Berufen, ist so ein Typ Machiavelli. Viele spotten nun darüber, dass der jahrelang vor allem auf eigene Tasche tätige Herr Merz sich nun so wohltemperiert, gut vorbereitet und zur Überraschung eigentlich aller in Szene brachte – es war allerdings genau dies: wohltemperiert, gut vorbereitet und zur Überraschung eigentlich aller.
Es wäre falsch, das falsch zu finden.
Funkenflug und Zunder
Denn mit seiner anspruchsvollen Siegerpose bringt Merz gerade doch etwas in Gang, das unabhängig von seinem Ergebnis bereits jetzt als historisch zu bezeichnen ist: ein nie gekanntes Maß an innerparteilicher Demokratie innerhalb der Machiavellipartei Deutschlands, der CDU.
Dort wagte bislang gemeinhin nur zu kandidieren, wer die Mehrheit hinter sich wissen konnte. Von dieser Gewissheit, von dieser Vorhersehbarkeit des demokratischen Aktes verabschiedet sich die Partei derzeit. Sie tut es natürlich nicht freiwiliig, sondern, weil es nicht anders geht. Aber gut ist es doch.
Zwar ist Friedrich Merz in politischen Ämtern, das lässt sich ja sagen, zu nichts Anständigem zu gebrauchen. Für Funkenflug und Zunder aber, ist er es jedenfalls doch.
Zwölf KandidatInnen
Zwölf Personen haben laut Medienberichten inzwischen ihre Kandidatur für den CDU-Parteitag Anfang Dezember erklärt. Das ist ein Wert, der an die basisdemokratischsten Zeiten der Piratenpartei erinnert, als Utopistinnen und Utopisten in den Bällebädern dieser Republik um ihre Zukunft rangen: oft belacht, meist verspottet. All dies stets zu Unrecht.
Der Kampf um die Zukunft, ist ein Kampf um Ideen.
Es hat gedauert bis die CDU, heute immerhin zweitgrößte Partei Deutschlands, sich, quasi versehentlich, darauf hat einlassen können, ihre Zukunftsfragen mit derlei Offenheit und Transparenz zu klären.
Das letzte Mal 1971
Man muss sich das vergegenwärtigen: Das letzte Mal, dass die Delegierten der CDU beim Parteivorsitz die Auswahl hatten, war im Jahr 1971, als es noch West- und Ostdeutschland gab, als die USA einen Waffenstillstand mit Vietnam beschlossen und als Rainer Barzel in Saarbrücken gegen Helmut Kohl gewann. Seitdem trat immer nur einer an. Wie ausgemacht, wie fad und mutlos.
Das ist das innerparteiliche Demokratiemodell der CDU.
Dies wird sich nun ändern. Tingeln werden sie und werben und sie werden natürlich, hintenrum, den Landesverbänden und Mittelstandsvereinigungen und den Jungen und Alten und Frauen und Arbeitnehmern und überhaupt allen Geschäfte anbieten und Rat einholen und ein paar Versprechungen machen, klar, aber eines müssen diese Kandidatinnen und Kandidaten der zweitgrößten Partei Deutschlands auch tun: öffentlich und transparent ihre Versprechen abgeben, ihre Visionen schildern und ihre Ansprüche untermauern.
Das ist eine gute Sache, und darauf, dass selbst die CDU so weit gekommen ist, sich so heute so grünengleich und piratenhaftig, so offen also zeigen zu müssen – darauf können wir alle stolz sein. Es geht in dieser Debatte um etwas. Nur wer sich hinterfragt, bleibt sich bekannt.
Worum es eigentlich geht
Der nicht-öffentliche Teil dieses Machtkampfes, das ist wohl wahr, wird nach eigenen Regeln organisiert sein. Es sind 500 Jahre alte Regeln, so oder ähnlich formuliert von irgendwelchen Fürstenverstehern. Aber der öffentliche Teil dieses Wettbewerbes um die künftige inhaltliche Ausrichtung der Regierungspartei CDU wird beantworten, worum es ihr wirklich gehen wird. Um welche Art der Integrationspolitik, um welche Art der Steuerpolitik, um welche Art der Bildungspolitik – falls Bildungspolitik überhaupt eine Rolle spielt.
Solcher Streit, solches Gezänk um die Sache, ist gut. Es ist gut, dass ihn alle mitbekommen können. Es ist gut, wenn viele mitreden können. Streit um die Sache wirkt immunisierend. Streit um die Sache ist wie Medizin.
„Die Menschen“, soll Machiavelli mal gesagt haben, „sind so einfältig und hängen so sehr vom Eindruck des Augenblickes ab, dass einer, der sie täuschen will, stets jemanden findet, der sich täuschen lässt.“
Streit um die Sache hilft, sich nicht täuschen lassen zu müssen.
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