■ Bewegungsmelder: Teilen und siegen - zehn Jahre Stattauto
In New York geht's vom Tellerwäscher zum Millionär. In Berlin von der Kreuzberger Wohngemeinschaft zum Büro-Chic in der sanierten Prenzelberger Brauerei. StattAuto – das Schild prangt an der Backsteinfassade. Im zweiten Stock residiert der Vorstand: Carsten Petersen, im edlen Anzug.
Doch Petersen ist gar kein Manager. Der einstige Germanistikstudent hat nur zufällig zwei Brüder und wohnte Ende der 80er zufällig in einer elfköpfigen Wohngemeinschaft, die sich einen VW-Bus teilen mußte. Der Schlüssel hing am Brett im Flur, und wer den Schlüssel ergatterte, der durfte fahren. „Einer war immer der Depp, wenn die Kiste zum TÜV mußte“, erinnert sich Petersen grinsend.
Die Wir-teilen-unser-Auto-WG bekam sogar einen theoretischen Unterbau: Carstens Bruder Markus Petersen schrieb seine Doktorarbeit über die ökonomische Analyse von Car-Sharing- Projekten. Bis er mit der Arbeit anfing, war die WG allerdings schon aufgelöst. Damals besaß Carsten kein Auto mehr und vermißte das Schlüsselbrett. Und Markus fehlten die empirischen Daten. Was tun? Die Brüder Carsten, Markus und Oswald Peteresen gründeten ein Unternehmen – StattAuto ist dieses Jahr zehn Jahre alt geworden.
Zwei Opel Kadett und ein Anrufbeantworter bildeten das Startkapital. Die Autos standen in Kreuzberg, die Schlüssel lagen im kleinen Tresor am Parkplatz parat. Alle Buchungen liefen über den AB. Die Car-Share-Möglichkeit sprach sich herum, die Buchungen auf dem AB wurden immer länger und immer komplizierter. Band abhören, rückspulen, wieder hören, vorspulen, löschen – „das war unser Pieps-Drama“, erzählt Carsten Petersen, jetzt natürlich Handy und Computer in Reichweite.
So konnte es nicht weitergehen. StattAuto, das damals noch StadtAuto hieß, zog um zu Michael Meyers Mitfahrzentrale, auch in Kreuzberg – wo sonst? Der Fuhrpark wurde erweitert: Zu den Kadetts kamen zwei Opel Corsa, ein Kleinbus und ein Lastenfahrrad – „damit kann man superviele Bierkästen transportieren“, weiß der Vorstand. Der Kadett hieß jetzt offiziell Limousine. Nachts war die Mitfahrzentrale jedoch nicht besetzt. Die Brüder Petersen brauchten etwas Besseres. Sie blieben in ihrem Kiez und fanden das Hotel Transit. Kein Werbegag, es hieß tatsächlich so. Rund um die Uhr gab‘s nun Autos, für Frauen nachts kostenlos.
140 Autos sind es heute, 3.500 Mitglieder und ein Jahresumsatz von drei Millionen Mark. Einer Grünen steht das gut zu Gesicht, dachte sich Andrea Fischer, die Berliner Spitzenkandidatin, und ging mit ihrer Mitgliedschaft bei StattAuto im Wahlkampf hausieren. Der skandalisierte Fünf- Mark-Benzinpreis paßt Petersen gut ins Konzept. Dann wird vielen ihr Auto zu teuer, „das treibt uns die Kunden zu“. Alle 345 roten und grünen Bundestagsabgeordneten haben in der vergangenen Woche schon mal ein Glückwunschschreiben von StattAuto bekommen. Verbunden mit der kleinen Bitte, die Straßenverkehrsordnung so zu ändern, daß gesharte Cars künftig auf Taxi- Stellplätzen parken dürfen.
Aus dem Drei-Mann-Team der ersten Stunde ist inzwischen eine AG geworden, und das Berliner StattAuto hat mit seinem Hamburger Pendant fusioniert. Auf den zehnten Geburtstag kann Oswald Petersen in Australien anstoßen, Markus Petersen in seiner neuen Firma, die Verkehrsdienstleistungen aller Art anbietet.
Nur Carsten Petersen ist StattAuto treu geblieben. Ein echter Car-Sharer bricht seinen Schwur nicht. Hoch droben in den Schweizer Alpen hatten 1991 acht Car- Sharing-Projekte ihren europäischen Dachverband gegründet. Oben auf dem Gipfel, wo kein Auto dieser Welt hinkommt. Jutta Wagemann
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