■ Bewegungsmelder: Techno gegen den Krieg
Techno ist laut. Und oft ohne Worte. Abgehackt-hämmernde Töne dringen aus schwarzen Boxen. Krieg ist auch laut. Und fast ohne Worte. Bomben fallen wummernd aus bundesdeutschen Kampfjets. Nicht hier, aber ein paar Kilometer weiter irgendwo im Osten. Wir können es lesen, hören, sehen – Tag für Tag, in der Zeitung, im Radio, im Fernsehen. Aus sicherer Entfernung leiden wir mit den hunderttausend Flüchtlingen. Und wir können ihn ausschalten, den Fernseher. Nicht den Krieg. Das Gefühl der Sinnlosigkeit poltert spätestens bei dem Gedanken an deutsche Bodentruppen hinterher. Zeit, dem Frust und der Enttäuschung einmal Raum zu geben: „Sonnenblumen zu Stahlhelmen – Jäger 90/Die Grünen!“
Die gelben Buchstaben prangern an auf dem grünen Transparent. Eher bescheiden tänzelt anfangs eine Handvoll junger Menschen am frühen Samstagnachmittag um den kleinen Demoleitwagen, verloren im Friedrichshain. War da eine thin red line?
Es sollte ein Rave gegen den Nato-Krieg werden. Mit jenen hämmernden Tönen, deren gewisse Ähnlichkeit zu den Geräuschen eines Maschinengewehres nicht zu verleugnen sind. Nur, daß hier getanzt wird und dort gekämpft. „Ich bin hier, um Spaß zu haben“, ruft mir ein junger Raver zu. „Spaß zu haben beim Tanzen. Das ist für mich Frieden!“ Sicherlich. Wir sind ja nicht im Kosovo oder auf dem Rathausplatz in Belgrad, wo's vielleicht auch bald ein paar Bomben hagelt. Am Boxhagener Platz in Friedrichshain wird nicht gekämpft. Nicht einmal ein paar kleine Auseinandersetzungen mit dem übertriebenen Polizeiaufgebot gibt es. Zugunsten des Happenings ist das natürlich willkommen. Schließlich werden so die Straßen freigeräumt, zum Tanz. „Unsere Idee ist es, die Trennung von politischem Engagement und Partymachen zu überwinden“, sagt Martin, einer der Radical Ravers, wie die sich hier alle so nennen. „Es ist eben unsere Art und Weise zu demonstrieren.“ Regelmäßig wird der Sound unterbrochen. Platz für politische Inhalte. Schade nur, daß diese immer kürzer werden und schließlich in einem fröhlichen „Hallo, liebe Anwohner! Das ist eine Demonstration gegen den Nato-Krieg“ enden. Die Abwechslung zum schockierend-grauen Fernsehbild zieht erfolgreich viele Schaulustige in den Demosog. Und dann wurde der bunte Haufen immer größer und stolzierte zügig über die Warschauer Brücke gen Kreuzberg. Die Hochburg politischer Rebellion! „Warum immer nur mit langen Gesichtern durch die Gegend laufen.“ Manfred gibt die Eistüte kurz seiner Frau: „Dieser Krieg ist doch schon frustrierend genug. Zum Tanzen fühle ich mich zwar schon ein wenig zu rostig, aber dafür sind ja die jungen Leute da.“ Ob die jungen Soldaten im Kosovo auch neongrünes Pistazien-Eis schlekken? Endlich am Heinrichplatz angekommen, entsteht ein schönes Straßenfest. Farben werden ausgepackt. Kinder beschmattern den Rock der Mutti mit Rot und Gelb. Ein junger Mann jongliert. Die Meinung, Schröder solle doch mal Ecstasy schlucken, um klar zu sehen, wird verbreitet. Und später gab es Sekt: Alles gegen den Kosovo-Krieg. Katrin Cholotta
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