Bewegungsmelder: Menschlicher Verkehr zwischen Bonn und Berlin
■ Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova
Gummersbach will Geschichte machen. Von der 54.000 Einwohner zählenden Stadt im Oberbergischen, 65 Kilometer hinter Bonn gelegen, soll ein Signal in die Welt geschickt werden. Mit einem Staffellauf von Bonn nach Berlin sollen die alte und neue Hauptstadt verbunden werden. Die Idee dazu hatte die „Laufgruppe der Leichtathletik Gemeinschaft Gummersbach“, allen voran Laufwart Stefan Esser. „Das ist irgendwo ein schönes Zeichen“, sagt der lauferprobte Ingenieur. Besonders faszinierend findet der 29jährige „das Übergreifende zwischen Ost und West“, denn die Unterschiede in den alten und neuen Bundesländern seien bis auf Autobahnen und Fernstraßen noch sehr groß, klagt er. Doch weil „die Mentalitätsunterschiede bei Sportlern bei weitem nicht so groß wie bei Politikern“ seien, könnten die Läufer zeigen, „daß Sport verbindet“.
Daß jedoch der zwischenmenschliche Verkehr noch immer nicht so richtig fließt, ist bereits an der Läuferzusammenstellung zu sehen. Obwohl die Strecke durch die alten und neuen Bundesländer führt und der Staffelstab zwischen verschwitzten Ossi- und Wessihänden wechselt, haben Letztere eindeutig die Oberhand. Neben vielen Ruhrpottpflanzen und Gummersbachern haben sich nur einige wenige Sachsen eine Woche frei genommen und 300 Mark für Verpflegung und Übernachtung lockergemacht. Um die erforderlichen 48 Läufer für die sieben Etappen zusammenzukriegen, mußte auch noch die Bundeswehr einspringen. Die hat es trotz der Nato-Bombardierungen geschafft, einen Fregattenkapitän, einen Oberstabsarzt, zwei Hauptmänner, zwei Oberleutnants, einen Stabsfeldwebel und einen Stabsunteroffizier quasi als friedliche Bodentruppe zu mobilisieren.
Schirmherr des Laufes ist Friedhelm Julius Beucher, seines Zeichens SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Sportausschusses. Und dann gibt es noch einen „Tempomacher“. Der heißt Olim von der Fichtenspitze und ist gerade mal fünf Jahre alt. Daß er trotzdem an der Spitze laufen wird, liegt daran, daß er ein Schäferhund ist. „Es freut mich, daß mir die Möglichkeit gegeben wird, als vierbeiniger Sportsfreund zur Ost-West-Zusammengehörigkeit einen kleinen Anteil zu leisten“, hat sein Frauchen, ebenfalls Gummersbacher Läuferin, in seinem Namen an den Schirmherren geschrieben.
Wie dem auch sei, morgen früh um 9 Uhr werden die Läufer von der Bonner Bürgermeisterin Bärbel Dieckmann nicht in die Wüste, sondern in das 900 Kilometer entfernte Berlin geschickt. Dann geht es in sieben Etappen à 160 Kilometer über Olpe, Kassel, Weimar, Zeitz, Bad Lausick, Döbeln, Bad Schandau, Neustadt, Lübbenau und Storkow nach Berlin. Dort werden die Läufer am kommenden Samstag von einem der bekanntesten Ossis, dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, vor dem Reichstag in Empfang genommen.
Wenn alles nach Plan läuft, werden sie die ersten Umzugsbotschafter sein. Doch sie haben Konkurrenz: Einen Tag vor ihrer geplanten Ankunft starten in Bonn einhundert Bundestagsabgeordnete sowie Mitarbeiter von Parlament und Regierung ebenfalls zu einem symbolischen „Umzug“ gen Reichstag. Doch statt die Beine in die Hand zu nehmen, schwingen sie sich auf Motorräder. Unter anderem dabei: der Bundestagsvizepräsident Otto Solms, der Vorsitzende des Umweltausschusses, Christoph Matschie, sowie der Parlaments-Youngster Karsten Schönfeld. Auch hier ist der Schirmherr der Friedhelm vom Sportausschuß. Einwohnern aus Ost und West, die an der Strecke über Bad-Hersfeld, Eisenach, Erfurt, Jena, Gera, Leipzig und Potsdam wohnen, sei geraten, die Türen geschlossen zu halten. Denn die Parteibuch-Biker wollen das Gespräch mit Bürgern und lokalen Persönlichkeiten suchen und eine „Linie der Begegnung und Freundschaft quer durch Deutschland“ ziehen.
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