Bewegung gegen Sparpolitik in Portugal: „Eine Revolution ist im Gange“
Ein Syriza-Erfolg in Griechenland könnte auch die Protestbewegungen anderer EU-Länder fördern. Ein Blick nach Portugal.
LISSABON dpa | Wenn die Griechen am Sonntag zu den Urnen gehen, dann werden am anderen Ende Südeuropas viele hoffnungsvoll mitfiebern. Allen voran Joana Amaral Dias. Die Psychologin ist in Portugal zum Gesicht und Sprachrohr all jener avanciert, die in dem Euro-Land die seit 2011 anhaltende Sparpolitik ebenso satt haben wie die zunehmenden Korruptionsaffären. Und den Traditionsparteien – egal welcher Couleur – nicht mehr vertrauen. „Ein Sieg der Linkspartei Syriza in Griechenland würde unserer Bewegung viele Impulse verleihen“, sagt Amaral Dias der Deutschen Presse-Agentur.
Mit „unserer Bewegung“ meint die 40-Jährige die am Tejo-Fluss erst vor wenigen Tagen gegründete Organisation „Juntos Podemos“ (Gemeinsam können wir), eine Schwesterbewegung von Syriza und der in Spanien bei Umfragen ebenfalls für Furore sorgenden „Podemos“. „Juntos Podemos“ ist derweil noch keine Partei und wird schon von Führungskämpfen erschüttert. Amaral Dias steckt sich dennoch hohe Ziele: „Egal ob mit dieser oder einer anderen Bewegung: Wir wollen die Macht ergreifen“. Im Süden Europas sei „eine Revolution im Gange.“ Es gebe eine enge Koordination mit Gesinnungsgenossen anderer Länder.
Nachdem das ärmste Land Westeuropas 2011 von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) mit einem 78-Milliarden-Hilfspaket vor dem Bankrott bewahrt worden war, verließ Portugal im Mai 2014 den EU-Rettungsschirm. Die Sanierungserfolge der Mitte-Rechts-Regierung von Pedro Passos Coelho werden in Berlin, Brüssel und Washington in höchsten Tönen gelobt. Nach vielen Rezessionsjahren in Folge wächst die Wirtschaft wieder. Die Kredite in Höhe von 26 Milliarden beim IWF wolle man vorzeitig tilgen, gab Lissabon diese Woche bekannt.
„Ist doch alles im Lot!“, wird sich der ausländische Beobachter sagen. „Mitnichten!“, entgegnet Amaral Dias energisch. Nach Überzeugung der inzwischen wieder parteilosen Ex-Abgeordneten des marxistischen „Bloco de Esquerda“ (Linksblock/BE) – die daheim aufgrund von TV- und Parlaments-Auftritten sowie Zeitungskolumnen seit Jahren bekannt ist – sind in Portugal sogar „die Demokratie und die Republik in Gefahr“. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung werde dieses Jahr vor der Parlamentswahl im Herbst noch mehr wachsen, sagt sie in Anspielung auf die weiterhin nahezu täglichen Streiks und Proteste gegen Einsparungen und Kürzungen voraus.
Jobmangel prägt Familien
Die „Rebellen-Chefin“ steht in Portugal mit ihrer Kritik nicht alleine da. „Der Jobmangel, der Hunderttausende zur Auswanderung gezwungen hat, prägt weiter das Leben der Familien“, meint Eugenio Fonseca, Präsident des katholischen Hilfswerks Caritas. In die gleiche Kerbe schlägt die Gründerin der Lebensmittel-Hilfsorganisation „Banco Alimentar“, Isabel Jonet: „Bei uns haben die Hilfsanträge 2014 weiter zugenommen. Viele alte Menschen müssen sehr oft entscheiden, ob sie Essen oder Medikamente kaufen.“
Diese andere Seite der Sanierungs-Medaille sieht man zum Beispiel, wenn man eine der Notaufnahmen der staatlichen Krankenhäuser besucht: Man sieht Überfüllung, Mangel an Tragen und Patienten, die oft stundenlang warten müssen. Medien berichten dieser Tage von einer zunehmenden Zahl von Todesfällen in den Notaufnahmen. „Es herrscht Chaos, Menschen sterben vor den Türen der Notaufnahmen. Die Gesundheitspolitik hat Konkurs angemeldet“, klagt auch Carlos Cortes, Chef der Ärztekammer der Zentrumsregion. Die Opposition spricht von einer Katastrophe und gibt den Kürzungen die Schuld.
Die Unzufriedenheit wird auch von vielen Skandalen genährt. Der frühere sozialistische Ministerpräsident José Sócrates (2005-2011) sitzt seit Ende November unter dem Vorwurf des Steuerbetrugs und der Geldwäsche in Untersuchungshaft. Zuvor war im Sommer der Ex-Chef der Pleitebank BES, Ricardo Salgado, – vom Volksmund „Dono disto tudo“, „Besitzer von allem hier“ genannt – festgenommen worden. Dann wurde ein Ring ranghoher Beamter zerschlagen, der Investoren aus dem Ausland gegen Schmiergeld Visa erteilt haben soll. Unter den vielen Festgenommenen war auch der Chef der Ausländerbehörde. Innenminister Miguel Macedo trat wegen der Affäre zurück.
„Die Angst vor der Zukunft ist wieder da, und zwar noch schlimmer als zu den Anfangszeiten der (Geldgeber)-Troika“, schrieb Kolumnist Manuel Carvalho in Público. Laut Medien haben viele Wähler auf der iberischen Halbinsel aber auch Angst vor den neuen Protest-Parteien. Will man da gegensteuern? Amaral Dias: „Nein, wir wollen Angst einjagen, die Wahrheit sagen: Wenn man die Traditionsparteien wählt, wird man den Kindern und Enkeln Verarmung hinterlassen.“ Das Kapital und die Großunternehmen müssten endlich Opfer aufbringen.
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